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Die Stachelbeerstraeucher von Saigon

Die Stachelbeerstraeucher von Saigon

Titel: Die Stachelbeerstraeucher von Saigon
Autoren: Siegfried Zimmerschied
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Bäckerei.
    Hinten wird geschissen, vorne werden die Semmeln verkauft.
    Und immer verändert sich das Häusl.
    Wie es sich seit Jahrzehnten immer wieder geändert hat.
    In den Sechzigerjahren wäre es eine Beleidigung gewesen, es nur Häusl zu nennen.
    Da war es ein stattlicher 5/6er, fünf Klosetts und sechs Pissstände.
    Edle Ausstattung.
    Schüsselränder wie Intarsien, Urinale wie Rosenthalsaucieren.
    Beste Lage, gemauert, Severinskirche, Hochfriedhof, alter Baumbestand.
    Eine Einheit.
    Klare Töne, kaum Zeitverlust, kurze Presswimmerer, kompakte Konsistenz, Wirtschaftwunderzapfen.
    Rechts Herrenklo, links die Damen, in der Mitte eine Sozialwohnung.
    Das war die Kindheit des Scheißhaussepp.
    Zusammen mit seinen Freunden, dem Klausi, dem Erwin und seiner Kinderliebe Susi.
    Der Klausi, Sohn eines Oberamtsrats, war damals schon auf den Spuren seines Vaters, immer ganz nah dran am Schacht, führte Strichlisten und hatte sehr früh ein festes Weltbild.
    Der Mensch ist letztlich nur ein Geräusch, das erfasst und verwaltet gehört.
    Den Erwin nannten alle » Zehnerlbiesler « .
    Er hatte einen fabelhaften Blick für die Opferbereitschaft eines Toilettenbesuchers.
    Dann stellte er sich vor die Kabine, schüttete sich Zitronenlimo in die Hose, setzte seinen Heidenkindblick auf, sodass jeder, der die Kabine verließ, sofort Schuldgefühle bekam.
    Es gab Tage, da lagen bis zu fünfzig Pfennige im Trinkgeldkörberl, das für Sepp immer ein Sozialbarometer war.
    So nahm auch Erwins Weltbild Konturen an.
    Den Menschen drängt es nach Erlösung, und das lässt er sich was kosten.
    Susi las » Bravo « und hatte somit auch ein Weltbild.
    Sepp interessierten von Anfang an der Mensch und das Häusl.
    Es faszinierte ihn von Anfang an, dass es so viele verschiedene Arschlöcher gibt, die alle anders klingen und die alle zu ihm müssten.
    Ende der Siebzigerjahre übernahm er mit vollem Idealismus den Betrieb von seinem Vater.
    Neue Ideen.
    Er wollte raus aus dem Mief.
    Jugendstil hin, Jugendstil her, er ging auf Lindgrün.
    Auch geruchsphilosophisch setzte er bei den Toilettensteinen neue Akzente, gab die Düsternis des Tannengeruchs auf, bei dem er immer das Gefühl hatte, Adalbert Stifter stünde neben ihm und schaue ihm zu.
    Er gab dem Sandelholz eine Chance, auf der Damentoilette dem Jasmin und dem Patschuli.
    Ernährungsumstellungen kreierten neue Flattertöne, alles wurde leichter und unverkrampfter.
    Susi war für die Lektüre in der Damentoilette zuständig, » Quick « , » Bunte « , » Neue Revue « .
    Als sie aus Versehen eine Ausgabe von » konkret « las, hatte sie plötzlich diese ganze bürgerliche Kacke satt und begab sich auf die Suche nach etwas, was sie ausfüllt.
    Das hat dann der Erwin übernommen, der zu dieser Zeit Tantralehrer war und eine ganz neue Methode entwickelt hatte.
    Die Kunden mussten sich selbst massieren, und er hat dazu meditiert.
    Das war zwar etwas teurer, aber ziemlich spirituell.
    Dann brachen sie zu einem Selbsterfahrungstrip nach Asien auf.
    Der Erwin wegen der Erleuchtung, und die Susi wollte die afghanische Zottelgraumaus retten, über deren Schicksal sie in der » Emma « gelesen hatte.
    Sie kamen allerdings nach drei Monaten wieder zurück.
    Susi mit einer Glatze und einem dicken Bauch, Erwin mit Hepatitis B und die Zottelgraumaus im Reagenzglas.
    Die verkaufte er auf dem Flohmarkt für fünf Mark.
    Cosima und Rudi nannten sie ihre Zwillinge.
    Es war eine sehr moderne Ehe, basierend auf antiautoritärer Erziehung.
    Susi las meistens » Psychologie heute « , und Erwin füllte die Wohnbeihilfeanträge aus, wenn die Kinder wieder einmal die Wohnung zerlegt hatten.
    Klaus entwickelte einen ungeheueren beruflichen Ehrgeiz.
    Er wurde der jüngste Ordnungsamtsinspektor Bayerns.
    Er schickte sogar seinem Freund Erwin Bußgeldbescheide wegen Luftverstößen, wenn dessen Ventilator die Cannabisschwaden nicht mehr bewältigte und im Hinterhof die Rentner von den Bänken kippten.
    Der Sepp blieb in seinem Scheißhäusl, kümmerte sich um alles, fischte die Einwegspritzen aus den Spülkästen und die Hosenknöpfe aus dem Trinkgeldkörberl.
    Denn in den Siebzigerjahren neigte der Mensch zur Sachspende.
    Da wurde der gute Wille als Währung eingeführt.
    Ende der Achtziger- bis weit in die Neunzigerjahre hinein gab es wieder entscheidende Umbrüche in der öffentlichen Bedürfnisanstalt.
    Da gab es plötzlich nur noch Unternehmer.
    Jeder Lagerist war plötzlich ein Manager, jeder Lottospieler ein
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