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Die Spur des Verraeters

Die Spur des Verraeters

Titel: Die Spur des Verraeters
Autoren: Laura Joh Rowland
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Auftrag. Außerdem kannte er die finstere Seite dieses überquellenden Paradieses mit Namen Nagasaki: Dort wurde die kleinste Unvorsichtigkeit, die harmloseste Bemerkung sehr schnell als Verrat ausgelegt und konnte den Tod bedeuten – besonders für einen Mann, der sich Feinde machte und in Ungnade fiel. Sano konnte sich denken, weshalb Yanagisawa ihn gerade nach Nagasaki schickte: Der Kammerherr wusste, dass der sôsakan dazu neigte, gegen Regeln zu verstoßen und sich im Zuge seiner Ermittlungen einflussreiche Leute zu Feinden zu machen. Yanagisawa hoffte, dass Sano in Nagasaki in so große Schwierigkeiten geriet, dass er sich selbst vernichtete – ein für alle Mal. Und Yanagisawas mächtiger Arm reichte weit genug, dass er praktisch dafür garantieren konnte.
    »Wirklich, sôsakan Sano, Ihr solltet mir dankbar sein, dass ich Euch diese wundervolle Möglichkeit biete.« Kammerherr Yanagisawa hielt den Tuschepinsel über ein neues Blatt Papier. »Ich glaube, ich bin jetzt so weit, dass ich meinen Vers niederschreiben kann«, wandte er sich dann an die fünf Ältesten.
    »Ich bin sicher, es wird ein meisterhaftes Werk, ehrenwerter Kammerherr«, sagte Makino Narisada, der Vorsitzende des Rates der Ältesten und Yanagisawas wichtigster Verbündeter. Narisadas hässliches, hageres Totenschädelgesicht verzog sich zu einer verschlagenen Fratze, als er einen raschen Blick auf Sano warf.
    »Ich muss schon deshalb in Edo bleiben, weil ich bald heirate«, erklärte Sano, obwohl er die Heirat mit Reiko bereits des Öfteren unter den verschiedensten Vorwänden hinausgezögert hatte.
    Kammerherr Yanagisawa lächelte selbstgefällig. »Ich fürchte, Eure Heiratspläne müssen auf einen unbestimmten Zeitpunkt hinausgeschoben werden.«
    Sano stand auf und verbeugte sich. Wenn er einwilligte, hatte er nichts zu gewinnen; wenn er ablehnte, hatte er nichts zu verlieren. »Mit allem gebotenen Respekt, ehrenwerter Kammerherr, aber ich reise nicht nach Nagasaki.«
    Yanagisawa lachte und malte mit raschen, fließenden Bewegungen schwungvolle Schriftzeichen, die das ganze Blatt Papier bedeckten. Dann betrachtete er sein Werk mit einem zufriedenen Seufzer und legte den Pinsel zur Seite. »Oh, ich glaube doch, dass Ihr die Reise antreten werdet, sôsakan Sano.«
    Yanagisawa betastete die dünnen Narben auf seiner Lippe und dem einen Augenlid: Erinnerungen an die schrecklichen Stunden, die er in der Gewalt des wahnsinnigen Bundori-Mörders verbracht hatte. Er warf Sano einen Blick zu, in dem sich rachsüchtige Schadenfreude spiegelte, und klatschte in die Hände. Fünf Wachsoldaten kamen den Pavillon hinaufgeeilt.
    »Sorgt dafür, dass sôsakan Sano sich an Bord des Schiffes befindet, das morgen nach Nagasaki ausläuft«, befahl der Kammerherr den Männern.
    Sano starrte ihn an. Yanagisawas offene Nötigung erfüllte ihn mit heißem Zorn.
    »Ach ja, da wäre noch etwas, bevor Ihr geht, um Euch auf die Reise vorzubereiten, sôsakan Sano«, sagte der Kammerherr, in dessen Augen eine grausame Freude funkelte. »Wie findet Ihr mein Gedicht? Als ich es schrieb, habe ich vor allem an Euch gedacht.«
    Mit anmutigem Schwung drehte er das Blatt Papier so herum, dass Sano die Schriftzeichen lesen konnte. Donner grollte, und der Regen prasselte auf das Strohdach des Pavillons. Sano las Yanagisawas Gedicht:
     
    In diesem schweren , unsicheren Leben
    Braucht es zum Erfolg oft vieler Mühen –
    Oh ! Aber der Wind kann einen Baum
    Aus mehr als nur einer Richtung fällen .

2.

    W
    o bleibt die Hafenpatrouille von Nagasaki, bei den Göttern? Sie hätten uns längst sehen und herkommen müssen, um uns zu begrüßen!« Der Kapitän, der in seiner Schuppenpanzer-Rüstung und dem gehörnten Helm einschüchternd aussah, stapfte zornig über das Deck des Segelschiffes. »Das ist eine unerhörte Kränkung der Gesandten des Shogun. Dafür wird irgendjemand in dieser Stadt bezahlen!« Dann rief er der Besatzung zu: »Macht das Schiff zum Anlegen bereit, und sorgt dafür, dass unsere Fahrgäste von Bord gehen können.«
    Er warf Sano und Hirata, die am Bug standen, einen spöttischen Blick zu und beschirmte die Augen zum Schutz vor der grellen Sonne mit der rechten Hand, als das Schiff sich der Hafeneinfahrt von Nagasaki näherte.
    Hirata stieß einen erleichterten Seufzer aus. Er litt unter ständiger Seekrankheit; sein Gesicht war blass und eingefallen, und er war zittrig und hatte seit ihrer Abreise aus Edo viel Gewicht verloren. »Ich bin froh, wenn wir von
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