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Die Spur der Zugvoegel - Muensterlandkrimi

Die Spur der Zugvoegel - Muensterlandkrimi

Titel: Die Spur der Zugvoegel - Muensterlandkrimi
Autoren: Anne Kuhlmeyer
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Melodie und Rhythmus. Die Musik hielt mich in der Welt. Wenn ich aussteigen würde, verschwände sie. Doch irgendwann musste ich aussteigen.
    Nach einer Ewigkeit bog ich rechts in eine Straße ein, die ich für die richtige hielt, und kam tatsächlich an Gebäuden vorüber. Ich glaubte, manche zu erkennen, dann links Herrn Yuens Restaurant, wenn ich mich nicht irrte. Ich atmete aus. Irgendwie war ich nach Hause gekommen. Fast. Der Nebel blieb undurchdringlich, erschien aber heller, unvermeidlich drängte sich der Tag hinein. Statt zum Jacobiwall fuhr ich Richtung Billerbeck weiter, hielt in einem Seitenweg, stellte den Motor aus, der leise klickte, und kurbelte das Fenster herunter. Der Nebel traf mich kühl und feucht.
    Es wurde Zeit, auszusteigen. Bevor es ganz hell war, bevor die ersten Radfahrer über die Brücke radelten, bevor …Dort, wo ich die Berkel vermutete, schien das Nichts zu lagern. Ich drehte den Verschluss meiner letzten Wodkaflasche auf und nahm einen Schluck. Gut. Irgendwann musste es ja sein. Meinen Hirnzellen befahl ich, jedwede Denktätigkeit einzustellen und auf Autopilot zu gehen. Das gelang nur bedingt. Im Freien verwob sich der Nebel mit dem Morgen am Rhein, mit Florian und dem Eis, mit Isabell und dem Wasser. Mich fröstelte. Ich öffnete die Beifahrertür und hob Honey aus dem Wagen. Sie war leicht. Ich spürte ihre Wirbelsäule auf meiner Brust.
    Sie war immer dünner geworden, die Augen glühender, seit sie die Stelle im Casino und die in Münster hatte. Sie brachte Rezepte mit nach Hause, Geschichten und Kräuter, die unser Wohnzimmer und unseren Balkon bewucherten. Sie saß nie mehr an meinem Rechner. Sie lag nicht mehr in meinem Bett, aber sie schnippelte und brutzelte in meiner Küche. Sie sah mich nicht.
    Behutsam nahm ich sie auf den Arm und tappte den Weg zur Brücke entlang, mich an den Wegwarten orientierend. Dann legte ich sie ins Gras. In diesem Licht sah sie aus wie immer, nur das Honigbraun ihrer Augen verbarg sie unter den halbgeschlossenen Lidern. Ich rutschte die niedrige Böschung hinunter, zog sie zu mir heran und setzte mich neben sie. Lange. Vor uns brodelte die Berkel. Angekommen. Am ersten Tag. Ohne sie. Ich legte ihr meine Hand auf die kühle Wange. Ich konnte mich nicht entschließen, zugehen. Aber es war Zeit. Längst.
    Plötzlich hörte ich Stimmen von irgendwo. Ich duckte mich und zog ihren Körper näher zum Fluss, noch näher, ließ ihn ins Wasser gleiten. Die Stimmen wurden lauter, nicht deutlicher. Ich presste mich auf den Boden und spürte die Feuchtigkeit durchs T-Shirt. Über ihrem Gesicht sprudelte das Wasser. Isabell. Honey. Die Stimmen entfernten sich, und der Nebel wurde weißer. Wie lange blieb ich neben ihr sitzen und sah zu, was der Fluss mit ihrem Haar tat? Ir­gendwann schien der Nebel lichter zu werden, und für mich wurde es allerhöchste Zeit. Abschiede waren nicht meine Sache, also ging ich, ohne zurückzusehen.
    Einen Moment überlegte ich, ob ich den Golf nicht besser stehen ließ und zu Fuß nach Hause marschierte, verwarf die Idee aber. Wie hätte ich das Gepäck den kilometerweiten Weg in die Stadt transportieren sollen? Zwischen den Häusern war die Luft klarer, die Ampeln schimmerten diffus. Ich stellte den Golf in der Garage ab und lud das Gepäck aus. Oben in der Wohnung roch es feucht, ich öffnete die Balkontür und trat in den Urwald aus Stauden und Kräutern hinaus, ein würziger Duft. Ich nahm einen tiefen Zug davon. Hinter den Nebeln erahnte ich die Sonne.
    Es klingelte. Mutter. Wer sonst, zu so früher Stunde? Ich fragte die Gegensprechanlage, aber sie schwieg, manchmal führte sie ein störrisches Eigenleben. Also tappte ich die Treppe hinunter und öffnete. Dann brach mir der Schweiß aus. Und ein Jubeln erfüllte meine Brust. Oder Angst. Mein Herz schlug mit derselben Frequenz wie die Flügel eines Kolibris, eines sehr kleinen Kolibris. Langes, dunkles Haar, schmal, rotes Kleid, Honey.
    »Erst küssen oder erst reden?«, fragte sie und legte den Kopf schief. Eine Schweißperle rann mir die Schläfe hinab, und ich hatte keine Kraft, sie abzuwischen. Peinliche Minuten oder auch Stunden vergingen. Dann tat mein Gesicht etwas, das vermutlich als Lächeln durchgehen konnte.
    »Kaffee?«
    »Geht auch.« Sie griff ihre Reisetasche und folgte mir, bis mir einfiel, dass ich sie ihr abnehmen sollte.
    Ich verfrachtete sie in einen Sessel und kochte Kaffee, den ich noch in der Küche in zwei Becher goss, nur halb voll, mehr konnte
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