Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Spur der verlorenen Kinder

Die Spur der verlorenen Kinder

Titel: Die Spur der verlorenen Kinder
Autoren: T.J. MacGregor
Vom Netzwerk:
schob das Handtuch wieder auf ihre Stirn und stemmte sich auf einen Ellenbogen, um durch das regennasse Fenster hinauszuschauen. Alles, was sie sah, war der umherhuschende Strahl seiner Taschenlampe, ein fernes Leuchten in der gnadenlosen Dunkelheit. Er war weit genug weg, sodass er nicht hören würde, wie sie an dem Metall arbeitete, wie sie an der Handschelle riss und versuchte, die Schraube aus dem Boden herauszureißen. Sie stemmte ihre linke Hand auf den Boden und zog mit der rechten, so fest sie konnte. Es tat wahnsinnig weh, die Handschelle schnitt in ihre Haut, ihren Knochen. Und nichts geschah. Sie öffnete das Messer, fuhr damit über die Schraube, bis sie den Einschnitt auf der Oberseite spüren konnte, dann drückte sie die Messerschneide hinein und begann zu drehen. Gegen den Uhrzeigersinn, hoch und raus, bitte, bitte, komm raus.
    Sie begann nachzugeben, und Annie dachte plötzlich an das Leben, dass das Monster ihr geraubt hatte. Okay, sie hatte es nicht so toll gefunden, als sie mittendrin steckte. Sie war einsam gewesen, sie hasste das Zwischenstadium ihres Körpers, irgendwo zwischen Kindheit und Erwachsensein, weder das eine noch das andere zu sein, und vor allem hasste sie die endlose Monotonie der Tage. Jetzt würde sie nur zu gern zurückkehren. Sie würde alles umarmen, würde es schätzen, würde ganz und gar im Augenblick leben, für immer und immer. Amen.
    Annie schaute wieder zum Fenster hinaus. Das Glas war beschlagen, der Regen klebte immer noch wie dicker Speichel daran, doch sie war ziemlich sicher, dass der flackernde Lichtstrahl jetzt auf sie zukam. Scheiße, scheiße, scheiße. Einmal noch, dachte sie, und riss ihre rechte Hand hoch, sie biss sich wegen der Schmerzen auf die Lippen, sie zerrte mit all ihrer Kraft und spürte dann, wie es ein wenig nachgab, ein leises metallisches Ratschen.
    Ein letzter gewalttätiger Ruck könnte es bringen. Dann wäre die Schraube draußen, und sie könnte die Handschelle von der Stange schieben. Wenn er die Schiebetür öffnet, wird sie hochschießen, die Klinge vorgestreckt, und hoffen, dass die Stange nachgibt.
    Aber selbst während sie das überlegte, wusste sie schon, dass sie es nicht tun würde, sie konnte es nicht riskieren, bis sie den verdammten Bügel los war. Dreimal schon hatte sie versucht, sich zu befreien, und jedes Mal hatte das Monster sie erwischt. Es würde kein viertes Mal geben. Wenn sie es noch einmal vergebens versuchte, würde sie sterben.
    Annie legte sich schnell wieder auf den Boden des Busses, das Handtuch über der Nase, nicht aber über den Mund gezogen, ihr Kinn an die Brust gedrückt, die linke Hand – und das Klappmesser – zwischen die Beine geklemmt.

2
    Mira konnte Annie jetzt spüren. Ihre Energie war wie ein weiches, helles Licht in ihrem Herzen. Am Leben, sie war noch am Leben. Solange sie am Leben war, bestand Hoffnung.
    Der Hubschrauber flog hoch und fern der Küste, sodass er von der Straße aus praktisch unsichtbar war. Wheaton konnte ihn vielleicht hören, sie hoffte aber, dass er nicht an die Polizei denken würde. Er hatte keinen Grund dazu. Er hielt Fontaine für tot.
    »Hören Sie«, sagte Fontaine. »Ich kann eine Suchmeldung nach dem Bus rausgeben und die Kollegen aus der Gegend das Haus der Wheatons umstellen lassen.«
    »Nein«, sagte Mira schnell. »Wenn er in der Falle sitzt, wird er sie umbringen. Er will Eva, und ich spüre, dass er über das Wasser kommt. Er wird den Bus anderswo abstellen.«
    »Ein Boot«, sagte Fontaine und nickte. »Auf der dem Haus gegenüberliegenden Seite des Kanals befindet sich ein Hafen.«
    »Wie dicht am Haus kann der Hubschrauber landen?«, fragte Sheppard.
    »Wir können überall landen, wo Platz ist und keine Stromleitungen verlaufen, doch wenn er den Hubschrauber sieht oder hört, weiß er, dass wir hinter ihm her sind. Wir haben drei Polizisten in Zivilwagen in der Sugarloaf Lodge in Bereitschaft. Sie können überall hin, wo wir sie brauchen, oder uns dorthin fahren, wo wir hinmüssen.«
    Mira schloss die Augen und ließ die verschiedenen Möglichkeiten noch einmal vor ihre Augen abrollen. Plötzlich wusste sie, was sie tun musste, aber es wäre schwer, es Fontaine zu erklären, weil dem nicht bewusst war, dass der junge Patrick Wheaton und Peter Wheat dieselbe Person waren. Und er wusste auch nicht, dass sie und Sheppard und der Mann, den er als Wheat kannte, fünfunddreißig Jahre aus der Zukunft kamen. Aber er traute ihr und wusste, dass die ganze Sache
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher