Die Spur der Kinder
durchkämmte.
Er lief zurück zu seinem Wagen. »Wann geht hier die Sonne unter?«, fragte er Hannes Jäger, der an der offenen Tür seines Einsatzwagens lehnte und eine Zigarette rauchte.
»Sogegen kurz vor zehn«, meinte Jäger, blies den Rauch aus und bot Karstens eine Zigarette an, die er augenblicklich nur zu gut vertragen konnte.
»Also in ungefähr drei Stunden«, vergewisserte sich Karstens mit einem Blick auf die Uhr, als ein Funkspruch aus dem Einsatzwagen drang, in dem von einem Jaguar die Rede war, der in der Nähe des Rohrkanals im Moor stecken geblieben war.
»Ein Jaguar?«
Jäger seufzte. »Ach, nee, nicht schon wieder … das fehlte jetzt noch kurz vor Feierabend. Diese dämlichen – Verzeihung –, diese Touristen lernen es aber auch nie. Da wird in jedem Reiseführer gepredigt, dass …«
»Moment, ich will sofort wissen, welche Farbe der Wagen hat!«, unterbrach ihn Karstens.
Jäger rollte mit den Augen, bückte sich aber schließlich nach dem Funkgerät und gab Karstens’ Frage weiter.
»Schwarz«, sagte Jäger kurz darauf und zog gemächlich an seiner Zigarette.
»Ich weiß, wem der Wagen gehört, ich komme mit! Los, ich fahre Ihnen hinterher!«, rief Karstens und sprang in seinen Golf.
Jäger stöhnte verärgert und schnickte die Zigarette weg. Dann stieg er in seinen Wagen, wendete und fuhr voraus.
EineViertelstunde später erreichten sie das Sumpfgebiet. Der Abschleppdienst war bereits vor Ort. Karstens rannte zu dem schwarzen Jaguar. Er trug das amtliche Kennzeichen B – FS 374. Fionas Wagen. Von ihr selbst fehlte jedoch jede Spur.
Hannes Jäger stützte die Hände in seine runde Hüfte. »Typisch Frau, ein Jaguar ist doch kein Geländewagen.«
»Wir müssen sie suchen!«, sagte Karstens entschlossen.
»Warum? Nur weil die mit ihrer schicken Karre im Moor stecken geblieben ist?« Jäger lachte. »Mein lieber Kollege, wenn wir hier jedes Mal, wenn eine Touristin mit ihrem Wagen irgendwo festhängt, eine Suchaktion starten würden, hätten wir wohl sieben Tage die Woche nichts anderes zu tun.«
»Sie ist aber keine Touristin.«
Jäger schielte auf das Nummernschild, während der Wagen mit einem Stahlseil auf die Rampe des Abschleppwagens gezogen wurde. »Eine Einheimische ist sie jedenfalls nicht«, sagte er und schüttelte entschieden den Kopf. »Nee, ohne mich, Karstens. Ich hab Feierabend und außerdem gleich ’ne Verabredung auf dem Schützenfest – und ich werd meine Süße bestimmt nicht warten lassen.«
»Tun Sie, was Sie nicht lassen können, aber ich gehe hier nicht eher weg, bis ich sie gefunden habe.«
Seufzend zog Jäger seinen Hosenbund hoch, kniffdie Augen zusammen und ließ seinen Blick über das nebelverschleierte Moor zum Fluss hinüberschweifen.
»Na also, da haben wir’s ja«, meinte er und stapfte durch den Matsch auf einen kleinen Anlegeplatz am Wasser zu. »Hier, da sehen Sie’s: Der Kahn da in der Mitte fehlt. Offenbar wusste sich die Dame schon selbst zu helfen.«
Grübelnd schob Karstens seinen Unterkiefer zur Seite und begutachtete die Abdrücke der Schuhe, die neben den Reifenspuren des Jaguars zum Wasser führten. »Das hier sind eindeutig die Schuhe eines Mannes, Fiona hat niemals so große Füße!«
Jäger schmunzelte, dann entwich ihm ein breites Grinsen. »Ach, so ist das. Jetzt verstehe ich, worum es Ihnen geht. Sie sind eifersüchtig. Die hat ’nen anderen, was?«
»Ach, Sie verstehen überhaupt nichts!«, regte Karstens sich auf. Mit einem Satz sprang er in einen der Kähne, die wie Nussschalen auf dem trüben Gewässer schwammen.
»Sie wollen sie also tatsächlich suchen«, murmelte Jäger und schien mit einem Mal seltsam besorgt. »Sie wissen aber schon, dass es bald dunkel wird – und dann kann’s hier draußen ganz schön ungemütlich werden … Und wenn Sie Pech haben, gibt’s heute sogar noch ein Wärmegewitter, angekündigt war es jedenfalls.«
Schweigend machte Karstens den Kahn los.
Jägerräusperte sich. »Na schön, wie Sie wollen, aber eins versprechen Sie mir: Sobald Sie sie gefunden haben, rufen Sie mich an. Verstanden?«
»Ja, versprochen!«, rief Piet Karstens. Lautlos ruderte er davon, und als er sich umdrehte, sah er Hannes Jäger am Ufer immer kleiner werden.
***
»Los, Schlampe! Mach die Augen auf!«
Fiona schreckte auf, als ein Eimer kaltes Wasser über ihr ausgeschüttet wurde. An ein Heizungsrohr gefesselt, fand sie sich auf dem Erdboden eines stickigen, fensterlosen Raums wieder. Ein
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