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Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)

Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)

Titel: Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)
Autoren: Heiner Wacker
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Garten eine Pracht. Geschickt durchmischen sich laubtragende mit laubabwerfenden Bäumen, der Rasen ist von makellosem Grün und dezente Strahler tauchen die zahlreichen Exponate auf dem Grundstück in ein vorteilhaftes Licht. Im Frühling ist dieses Stück Münster das reinste Paradies. Carsten rollert zu seiner Pflanzeneinsatzzentrale, einer Mischung aus Garage, Büro und Gewächshaus, um sich umzuziehen. Sein Arbeitgeber ist ein Mensch mit Stil, der höchsten Wert auf eine klassengerechte Verpackung seiner Domestiken legt. In Carstens Fall besteht diese Bekleidung aus einem grünen Kittel nebst dazu passender Hose, Holzschuhen und einem immerhin eleganten Strohhut aus dem ehemaligen Panama. Die Klamotten sind dysfunktional und albern, aber Carsten hat sich im Laufe der Jahre daran gewöhnt. Immerhin ist er kein Mitglied des weiblichen Hauspersonals, das es diesbezüglich noch schlechter getroffen hat.
    Nachdem Carsten sich in Schale geschmissen hat, marschiert er zackig in Richtung Hauptgebäude, ein massiges Stadtschlösschen aus roten Ziegeln mit Sandsteinapplikationen im Stil von Johann Conrad Schlaun und gerade mal tausend Quadratmetern Wohnfläche, um sich in der Bedienstetenküche einen hoffentlich echten Kaffee zu schnorren, hat aber Pech, denn auf dem Weg dorthin begegnet er der Herrin des Hauses: Constanze Freiherrin von der Hohen Ward. Carsten stöhnt innerlich auf. Frau von der Hohen Ward ist nicht zimperlich in der Wahl ihrer jeweiligen Zuhörerschaft und wenn nicht gerade die Teilnehmer eines der zahllosen Wohltätigkeitsfeste, des Lesekreises, des Ausschusses für zeitgenössische Kunst, des beisitzenden Kuratoriums des Landesmuseums, irgendwelche Oberbekleidungsfachverkäuferinnen aus einer der Edelboutiquen an der Rothenburg oder Friseure zur Hand sind, müssen die Angestellten herhalten. Diesmal scheint das Los auf den Gärtner gefallen zu sein.
    «Herr Kluncker, gut, dass Sie da sind. Ich bin ja ganz außer mir. Man fühlt sich ja in seinem eigenen Haus nicht mehr sicher.» Sie verkrallt sich im linken Ärmel des grünen Kittels und zerrt Carsten durch das großzügige Portal in die Eingangshalle.
    «Haben Sie schon gehört? Schrecklich, ganz schrecklich. Ich bin völlig außer mir!»
    Carsten ordnet die Falten in seinem Gesicht zu einer Maske geduldiger Selbstaufgabe.
    «Beruhigen Sie sich doch, Frau von der Hohen Ward. Sie sind ja ganz außer sich.»
    Außer sich zu sein ist der Standardbetriebsmodus seiner ungeschätzten Chefin, aber dies zu äußern wäre nicht nur unklug, sondern darüber hinaus auch völlig wirkungslos, denn Carstens Arbeitgeberin lebt geistig in einer Welt, zu der Leute wie er argumentativ keinen Zutritt haben.
    «Stellen Sie sich nur vor: Es hat Tote gegeben. Nicht nur unter den Zuschauern, nein, auch unter uns. Wertvolle Menschen sind gestorben. Wertvoll für meinesgleichen sicherlich, aber auch für die Allgemeinheit. Menschen, die etwas gestaltet haben, für andere da waren. Unermüdliche Streber für eine bessere und vor allen Dingen schönere Welt. Und die Polizei? Macht wie immer gar nichts. Wofür bezahlen wir die eigentlich? Fürs Rumsitzen?»
    Frau von der Hohen Wards ebenmäßiges Gesicht hat einen gehässigen Zug bekommen, der allerdings umgehend seine scharfen Konturen verliert und in den zittrigen Zustand mäandert, der einer Tränenattacke vorauszugehen pflegt. Sie hat Carstens Ärmel losgelassen und verschlingt ihre sehnigen Hände ineinander, sodass die zahllosen Ringe an ihren langen Fingern leise metallische Klickgeräusche produzieren. Dann stößt sie einen theatralischen Schluchzer aus.
    «Wie kann jemand nur so grausam sein. So egoistisch. Ich habe gehört, dass die Attentäterin eine Frau gewesen sein soll. Kennen diese Personen denn gar kein Mitleid, haben sie nicht vielleicht selbst Kinder gehabt?» Frau von der Hohen Wards Augen schwimmen in einer klaren Flüssigkeit. Dann ist die melodramatische Phase so schnell vorüber, wie sie gekommen ist.
    «Habe ich Ihnen eigentlich schon meine neueste Errungenschaft gezeigt, Herr Kluncker? Sie sind ja quasi vom Fach. Kommen Sie, das muss ich Ihnen zeigen.»
    Ohne eine Antwort abzuwarten, hat sie sich umgedreht und geht in den Salon. Carsten zuckt mit den Schultern und folgt ihr ergeben. Die Arbeit muss warten. Leider wird sie dadurch nicht weniger. Frau von der Hohen Ward ist derweil vor einem monumentalen Schinken an der Wand stehen geblieben.
    «Na, was sagen Sie?», intoniert sie mit künstlich tiefer
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