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Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)

Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)

Titel: Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)
Autoren: Heiner Wacker
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eigene Anstalten zur Gesprächsbeteiligung zu treffen.
    «Wir unterbrechen euch ja nur ungern, aber just ist der Jubilar der heutigen Veranstaltung eingetroffen.»
    Die Sprecherin, eine Frau mit kurz geschorenen weißgrauen Haaren, deutet mit dem Daumen über ihre rechte Schulter. Das Sprechen fällt ihr schwer. Kein Wunder, denn die einzigen Sprachbildungswerkzeuge in ihrem Mund bestehen aus zwei zahnlosen Gaumenleisten und einer dürren Zunge. Der Rest sieht aus wie eine Moorleiche und riecht auch so.
    «Habe ich dir letztes Jahr nicht einen Waschlappen geschenkt, Trude? Verbunden mit der dringenden ärztlichen Empfehlung ihn auch zu benutzen?» Horst kann Unterbrechungen nicht leiden und reagiert entsprechend ungehalten auf diesbezügliche Attacken. Andererseits hat Trude recht, denn der Mittelpunkt der heutigen Feier wird gerade in seinem rostigen Kassenrollstuhl in die Tenne geschoben. Pfiffe, Gejohle und kraftloses Geklatsche begleiten ihn. Der Mann im Stuhl bietet indes keine erfreuliche Erscheinung. Die Gesichtshaut spannt sich wie ein Trommelfell über den schmalen Schädel, die Augen liegen tief in den Höhlen, die Hände sind um die Lehnen verkrampft. Er hat augenscheinlich Schmerzen.
    «Peter, eine Rede!», ruft eine stämmige Frau mit deutlichem Übergewicht aus der zweiten Reihe.
    «Ja, eine Rede. So kommst du uns nicht davon, alter Schwede!»
    Der Mann verzieht das Gesicht zu einer Grimasse. Nach einigen Mühen gelingt es ihm, ein müdes Lächeln daraus zu modellieren.
    «Hey, Leute. Nett, dass ihr es einrichten konntet. Es gibt Momente, da fühlt man sich am besten im Kreis seiner Freunde.»
    Carsten beugt sich zu Horst hinüber.
    «Mein Gott, Horst. Der sieht aber scheiße aus.»
    «So würdest du auch aussehen, wenn du eine akute Niereninsuffizienz hättest. Möglicherweise sogar noch schlechter.»
    «Niereninsuffizienz? Ich glaube, bei mir ist alles insuffizient. Oder kurz davor. Ich dachte immer, die Dinger filtern nur das überflüssige Zeug aus dem Blut oder so.»
    «Oder so? Soll ich dir jetzt einen Vortrag über die Funktionsweise der Nieren halten? Ich kann dir nur eins sagen: Die Jungs haben deutlich mehr auf der Agenda als die Entfernung von Stoffwechselgiften. Da gäbe es unter anderem auch noch die Regelung des Elektrolythaushaltes, Ausschüttung von Hormonen für den Blutdruck, die Bildung roter Blutkörperchen und und und. Wenn es irgendwann eng wird, kommt es zu Symptomen wie Leistungsschwäche, Appetitlosigkeit, Erbrechen, Übelkeit, Wassereinlagerungen, Atemnot, Hautveränderungen. Später dann Krampfanfälle. Siehst du gerade.»
    In der Tat. Peter hat sichtlich zu kämpfen. Will sich aber nicht geschlagen geben.
    «Peter! Wie wärs mit einem Bierchen?», hört man von hinten.
    «Danke, ich muss noch fahren», kommt es postwendend von Peter. Dann: «Na gut, eins!»
    Allgemeines Gelächter.
    «Komm, Alter, kleine Gutenachtgeschichte. Du konntest doch noch nie die Klappe halten.»
    Konnte Peter tatsächlich noch nie. Die Bemerkung verfehlt somit auch diesmal nicht ihren Zweck.
    «Na gut, ihr Hungerleider.» Peter hustet und versucht sich aufrecht zu setzen. Nicht so einfach in seinem Zustand. «Also: Nochmals danke schön, dass ihr meinetwegen gekommen seid.»
    «Wird nicht wieder vorkommen», lässt sich eine brüchige Stimme aus der Mitte vernehmen.
    «Wie ihr wisst», fährt Peter ungerührt fort, «habe ich ein kleines organisches Problem. Ein Problem, das sich zwar lösen ließe, wenn ich über die entsprechenden Mittel verfügen würde, aber da das nicht der Fall ist, muss ich mich seinen unschönen Konsequenzen stellen. Soll aber kein Grund zur Klage sein.»
    «Klingt aber ein bisschen so.»
    Peter hat es sich in seinem Stuhl den Umständen entsprechend bequem gemacht und lutscht vorsichtig an dem miniaturisierten Bier, das ihm ein Umstehender vorsorglich gereicht hat. Das Grinsen ist wieder aufgetaucht.
    «Also gut, Leute. Abschließendes Statement von Peter Pan, dem Jungen, der nie erwachsen werden wollte und irgendwann feststellte, dass er den interessanten Teil zwischen Kindheit und Alter im Schnellvorlauf bewältigt hat. Kommt mir jedenfalls so vor.»
    «Geht uns allen so», brummt Carsten. Peter hat ihn nicht gehört, vielleicht wollte er auch nicht.
    «Deshalb auch diesmal Schnelldurchlauf. Sehr schneller Schnelldurchlauf. Ich habe heute schließlich noch was vor.»
    Er räuspert sich mühsam. «O.K., fangen wir vorne an. Was gibts zu sagen? Schwein gehabt. Gnade der
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