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Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)

Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)

Titel: Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)
Autoren: Edward O. Wilson
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Afrika und Eurasien bis nach Australien und stießen schließlich auch in die Neue Welt und auf entlegene Archipele in Ozeanien vor. Im Lauf dieses Prozesses wurden alle anderen Menschenarten, denen sie begegneten, verdrängt und ausgelöscht.
    Erst 10.000 Jahre liegt die Erfindung der Landwirtschaft zurück, zu der es unabhängig voneinander überall auf der Welt insgesamt mindestens achtmal kam. Seitdem stand ungleich mehr Nahrung zur Verfügung, und damit stieg die Bevölkerungsdichte zu Land deutlich an. Dieser entscheidende Fortschritt brachte exponentielles Bevölkerungswachstum und zugleich die Umwandlung von einem Großteil der natürlichen ländlichen Umwelt in drastisch vereinfachte Ökosysteme. Wo immer der Mensch wildes Land durchdrang, wurde die biologische Vielfalt auf den dürftigen Stand der frühesten Zeit vor einer halben Milliarde Jahren zurückgedrängt. Der Rest der lebendigen Welt konnte in ihrer Evolution nicht schnell genug mithalten, um sich auf den Ansturm eines so spektakulären Eroberers einzustellen, der aus dem Nichts zu kommen schien; und unter dem Druck fing sie an zu zerbröckeln.
    Selbst nach der streng fachlichen Definition, die sich auf Tiere bezieht, ist der Homo sapiens im Sprachgebrauch der Biologen als «eusozial» zu bezeichnen: Seine Verbände umfassen mehrere Generationen, und deren Mitglieder neigen im Rahmen ihrer Arbeitsteilung zu altruistischen Handlungen. In dieser Hinsicht sind sie mit Ameisen, Termiten und anderen eusozialen Insekten vergleichbar. Ich will aber gleich dazusagen: Es bestehen enorme Unterschiede zwischen Menschen und Insekten, und das auch abgesehen davon, dass unser Besitz von Kultur, Sprache und hoch ausgebildeter Intelligenz einzigartig ist. Der wichtigste Unterschied ist der, dass alle normalen Mitglieder menschlicher Gesellschaften reproduktionsfähig sind und dass die meisten untereinander darum konkurrieren. Auch bestehen menschliche Verbände aus hochflexiblen Bündnissen, nicht nur unter Familienmitgliedern, sondern auch zwischen Familien, Geschlechtern, Klassen und Stämmen. Bindungsverhalten beruht auf der Kooperation zwischen Individuen oder Gruppen, die einander kennen und Besitz und Status auf persönlicher Grundlage verteilen können.
    Da die Mitglieder von Bündnissen einander in feinen Abstufungen bewerten können mussten, muss die Herausbildung der Eusozialität bei den vormenschlichen Vorfahren radikal anders abgelaufen sein als bei den instinktgetriebenen Insekten. Abgesteckt wurde der Pfad zur Eusozialität durch einen Wettstreit zwischen zwei Formen der Selektion: Einerseits beruhte die Selektion auf dem relativen Erfolg von Individuen innerhalb von Gruppen und andererseits auf dem relativen Erfolg zwischen Gruppen. Als Strategien dienten in diesem Spiel verschiedene, in einer komplizierten Mischung sorgfältig austarierte Faktoren, nämlich Altruismus, Kooperation, Konkurrenz, Dominanz, Reziprozität, Abtrünnigkeit und Betrug.
    Für die menschliche Spielvariante mussten die Populationen in ihrer Evolution immer höhere Grade der Intelligenz erwerben. Sie mussten Empathie für andere empfinden, die Emotionen von Freund und Feind gleichermaßen abschätzen, jedermanns Absichten beurteilen und eine Strategie für die eigenen sozialen Interaktionen aufstellen. So kam es, dass das menschliche Gehirn zugleich höchst intelligent und äußerst sozial wurde. Es musste in der Lage sein, rasch gedankliche Szenarien für persönliche Beziehungen zu erstellen, und das sowohl für kurz als auch für langfristige Beziehungen. Das Gedächtnis musste weit in die Vergangenheit zurückreichen, um alte Szenarien abrufen zu können, und weit in die Zukunft voraus greifen, um die Folgen jeder Beziehung abschätzen zu können. Die Entscheidungsmacht über alternative Handlungspläne übernahmen die Amygdala und andere emotionssteuernde Kerngebiete des Gehirns und des vegetativen Nervensystems.
    Damit war die Natur des Menschen geboren, mit ihrem Egoismus und ihrer Selbstlosigkeit – zwei Impulsen, die oft in Konflikt miteinander stehen. Wie hat der Homo sapiens auf seiner Reise durch das große Labyrinth der Evolution diese einzigartige Stellung erreicht? Nun, unser Schicksal war von zwei biologischen Eigenschaften unserer fernen Vorfahren vorbestimmt: der Großwüchsigkeit und der eingeschränkten Mobilität.
    Im Mesozoikum waren die ersten Säugetiere winzig im Vergleich zu den größten Dinosauriern in ihrer Umgebung. Aber wie heute noch waren sie
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