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Die souveraene Leserin

Die souveraene Leserin

Titel: Die souveraene Leserin
Autoren: Alan Bennett
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vor, als würde er mit seiner Großmutter sprechen, und nicht zum ersten Mal wurde ihr unangenehm bewusst, welchen Unwillen, ja welche Abscheu ihre Lektüre zu erregen schien.
    »Nun gut«, sagte sie. »Dann sollten Sie die Sicherheitskräfte in Kenntnis setzen, dass ich morgen früh ein neues Exemplar des gleichen Buches, auf Sprengstoff untersucht und freigegeben, auf meinem Schreibtisch vorzufinden erwarte. Und noch etwas. Die Polster der Karosse sind völlig verdreckt. Schauen Sie sich mal meine Handschuhe an.« Ihre Majestät zog sich zurück.
    »Scheiße«, sagte der Lakai und zog das Buch vorn aus seiner Livreehose, wo es zu verstecken ihm befohlen worden war. Doch wegen der Verspätung wurde nichts Offizielles verlautbart.
    Die Abneigung gegen die Bücher der Monarchin beschränkte sich nicht auf den Hof. Während ein Spaziergang für die Hunde früher lautes und zügelloses Tollen übers ganze Palastgelände bedeutet hatte, ließ sich Ihre Majestät heute, kaum dass sie sich außer Sichtweite des Palastes befand, auf der nächsten Sitzgelegenheit nieder und schlug ihr Buch auf. Gelegentlich warf sie den Tieren gelangweilt einen Keks zu, doch Ballwerfen, Stöckchenholen und andere gemeinsame Übermütigkeiten, die ihre Ausflüge einst belebt hatten, gehörten der Vergangenheit an. Die Hunde waren zwar launisch und verwöhnt, aber nicht dumm, und so konnte es nicht überraschen, dass sie Bücher nach kurzer Zeit als die Spielverderber zu hassen begannen, die sie nun einmal sind (und schon immer waren).
    Wenn Ihre Majestät ein Buch auf den Teppich fallen ließ, so stürzte sich ein eventuell anwesender Hund sofort darauf, beschnupperte und besabberte es und schleppte es schließlich in einen entfernten Winkel des Palastes, wo es sich zufriedenstellend in Stücke reißen ließ. Ungeachtet des James-Tait-Black-Preises war es Ian McEwan so ergangen, und sogar A. S. Byatt wurde übel mitgespielt. Trotz ihrer Schirmherrschaft über die London Library musste Ihre Majestät sich am Telefon regelmäßig bei der Verlängerungsabteilung für einen weiteren verlorengegangenen Band entschuldigen.
    Norman konnten die Hunde ebenso wenig leiden, und da der junge Mann zumindest teilweise am literarischen Enthusiasmus der Queen schuld war, war auch Sir Kevin ihm nicht gerade geneigt. Ihn irritierte auch dessen ständige Nähe zur Königin, denn wenn er auch bei den Besprechungen des Privatsekretärs mit der Queen nie im Zimmer war, so blieb er doch immer in Rufweite.
    Gerade gingen sie einen königlichen Besuch in Wales durch, der in vierzehn Tagen stattfinden sollte. Mitten in der Besprechung des Tagesprogramms (eine Fahrt mit einer modernen stadtübergreifenden Straßenbahn, ein Ukulelenkonzert und eine Führung durch eine Käsefabrik) stand Ihre Majestät plötzlich auf und ging zur Tür.
    »Norman.«
    Sir Kevin hörte das Scharren eines Stuhls, als Norman sich erhob.
    »In ein paar Wochen fahren wir nach Wales.«
    »Das ist Pech, Ma’am.«
    Die Queen lächelte den nicht amüsierten Sir Kevin an.
    »So frech, dieser Norman. Also, wir haben Dylan Thomas gelesen, nicht wahr, und ein bisschen was von John Cowper Powys. Und Jan Morris auch. Wen gibt es noch?«
    »Sie könnten es mal mit Kilvert versuchen, Ma’am«, sagte Norman.
    »Wer ist denn das?«
    »Ein Geistlicher, Ma’am. Neunzehntes Jahrhundert. Lebte an der walisischen Grenze und hat ein Tagebuch geschrieben. Mochte kleine Mädchen.«
    »Ah«, sagte die Queen, »wie Lewis Carroll.«
    »Schlimmer, Ma’am.«
    »Meine Güte. Können Sie mir das Tagebuch besorgen?«
    »Es kommt auf Ihre Liste, Ma’am.«
    Ihre Majestät schloss die Tür und kehrte an den Schreibtisch zurück. »Sehen Sie, ich mache meine Hausaufgaben, Sir Kevin.«
    Sir Kevin hatte noch nie von Kilvert gehört und blieb unbeeindruckt. »Die Käsefabrik liegt in einem neuen Gewerbegebiet auf altem Zechengelände. Die Ansiedlung hat die ganze Gegend wiederbelebt.«
    »Zweifellos«, sagte die Queen. »Aber Sie müssen doch zugeben, dass auch Literatur ihre Relevanz hat.«
    »Das vermag ich nicht zu sagen«, wich Sir Kevin aus. »In der Fabrik nebenan, wo Ihre Majestät die Kantine eröffnen werden, werden Computerteile hergestellt.«
    »Es wird auch gesungen, nehme ich an?«
    »Ein Chor wird auftreten, Ma’am.«
    »Wie üblich.«
    Sir Kevin hat ein sehr muskulöses Gesicht, dachte die Queen. Sogar in den Wangen schien er Muskeln zu haben, die sich kräuselten, wenn er die Stirn runzelte. Wäre ich
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