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Die Söhne.

Die Söhne.

Titel: Die Söhne.
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Nicht groß, aber fest und stattlich steht er da, mit rundem, offenem Gesicht, das kurze Kinn kräftig vorgestoßen, so daß es scharf, dreieckig einzackt. Vespasian sieht seinen Sohn, er hört den Wind in der Eiche, seine behaarten Ohren sind voll von diesem Wind. Fernher durch den Wind hört er Schmettern von Trompeten wie seinerzeit, wenn er, in England oder in Judäa, Attacke kommandiert hat. Sein Titus hat leider keinen Humor, aber dafür ist manchmal in seiner Stimme etwas von diesem Schmettern. Vespasian kann sich ruhig konsekrieren lassen, kann ruhig eingehen unter die Götter. Wenn Herkules auch nicht sein Ahnherr ist, er darf es sich erlauben, mit ihm zu reden als Mann zum Mann. Sie werden sich gegenseitig in die Rippen stoßen, Herkules wird lachen und die Keule senken, sie setzen sich nebeneinander und erzählen sich Witze.
      Zweitausend mal dreihundertfünfundsechzig. Die Dumpfheit in seinem Schädel weicht plötzlich einer klaren Schärfe. Zweitausend mal dreihundertfünfundsechzig, sehr einfach, das sind siebenhundertdreißigtausend. Rund eine Million hat er auf diesen Burschen Josef verwandt. Also noch nicht eineinhalb Sesterzien kostet ihn ein Tag Nachruhm. Das ist geschenkt.
      Er fühlt sich leicht und voll Zufriedenheit. Gleich wird es soweit sein. Nur kurze Zeit noch, zwei Minuten noch, noch eine. Die muß er durchhalten. Er muß Würde haben wegen der Eiche.
      Er gibt das Zeichen mit der Hand, schwach, kaum merklich. Aber sie merken es, sie richten ihn hoch. Sie sollen es lassen. Es tut scheußlich weh, er ist ungeheuer schwach, sie sollen ihn liegen lassen. Aber er hat nicht die Kraft, es ihnen zu sagen. Er muß doch etwas sagen. Was denn? Er hat es so genau gewußt. Seit Tagen hat er sich auf sein letztes Wort vorbereitet. Sie richten ihn weiter hoch. Es ist unerträglich, aber sie haben keine Rücksicht.
      Wind kommt von außen. Das schafft ein wenig Erleichterung. Sie sollen keine Rücksicht nehmen. Disziplin muß sein. Er will im Stehen sterben, so hat er es sich vorgenommen.
      Und wirklich, er steht, oder vielmehr er hängt vornübergeneigt, die Arme um die Schultern der andern. Um die Schultern seines Sohnes Titus und seines Beraters, des Claudius Regin. Er hängt schwer vornüber, er schnauft kläglich, von der harten, ledernen Haut seiner Stirn rinnt Schweiß, Schweißtropfen stehen auf seiner mächtigen Glatze.
      Es geht nicht mehr. Wozu die Quälerei? Der Halbjude Claudius Regin macht nicht mehr mit, er gibt dem Titus ein Zeichen. Sie lassen ihn zurückgleiten.
      Der alte Mann, der Herr des Erdkreises, der diesen Erdkreis beharrlich, schimpfend, Witze machend, so lange auf seinen Schultern geschleppt hat, läßt sich gleiten. Eine gewaltige Last wälzt sich von ihm. Er sieht die Eiche, er spürt den Wind, spürt die Seligkeit des Sichfallenlassens. Er liegt auf dem harten Lager, stolz, glücklich. Oh, er braucht nicht hauszuhalten, er kann seinen Atem verschwenden, er kann es sich erlauben, noch vor dem würdigen letzten Wort diesem schlauen Geschäftsmann Regin mitzuteilen, welch allerschlauestes Geschäft er gemacht hat. Flüsternd, grausig spaßhaft, keucht er ihm ins Ohr: »Wissen Sie, was ein Tag Nachruhm mich kostet? Einen Sesterz, ein As und sechseinhalb Unzen. Geschenkt, nicht?« Dann erst, sich zusammenreißend, den Kopf mit ungeheurer Anstrengung von einem zum andern wendend, stößt er hervor: »Cäsar Titus, meine Herren, sagen Sie dem Senat und dem Volk von Rom: ihr Kaiser Vespasian ist im Stehen gestorben.« Dies lügend, liegend, veratmet er.

    Den zweiten Tag darauf wurde die Leiche, sorglich einbalsamiert, nach Rom überführt und im Kaiserhaus auf dem Palatin aufgebahrt, auf hohem Katafalk, in der Halle, wo die Wände entlang die Wachsbüsten der Ahnen standen. Da lag er also, der tote Vespasian, die Füße nach dem Ausgang hin, in purpurnem Kaiserornat, eine Kupfermünze mit der Umschrift »Das besiegte Judäa« als Fährgeld für den Totenschiffer unter der Zunge, Kranz auf dem Haupt, Siegelring am Finger, schwarzgekleidete Liktoren, die Rutenbündel gesenkt, vor ihm, und täglich kamen Titus, Domitian, Julia, Lucia und riefen ihn mit all seinen Namen und Titeln. Amtlich übrigens war er noch am Leben; denn der Senat hatte beschlossen, ihn unter die Götter zu erheben. Er galt also, bis zur Verbrennung, als noch nicht tot, man brachte ihm Speisen, legte ihm Dokumente vor, die Ärzte kamen, untersuchten ihn, gaben Bulletins aus über seinen
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