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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin
Autoren: Tanja Kinkel
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übertriebene Reichtum des königlichen Palasts war einer der Gründe, warum die Bevölkerung nicht übermäßig um den gestürzten Numitor trauerte. Das Haus eines Königs sollte Ehrfurcht einflößen, denn der König vertrat die Stadt, aber in schlechten Zeiten statt Getreide griechische Maler einzuführen, wie Numitor es getan hatte, war eine weitere Herausforderung der Untertanen gewesen. Dennoch zollte Fasti dem Ergebnis dieser unklugen Eigennützigkeit bei jedem Besuch aufrichtige Bewunderung. Der Palast mit seinen drei Innenhöfen stand nicht, wie die wichtigsten Tempel, auf einem der höchsten Punkte von Alba, aber er bot eine wunderbare Aussicht auf den See, und wenn man ihn einmal betrat, dann war es unmöglich, nicht den Einfallsreichtum zu würdigen, den diese Lage hervorgerufen hatte. Die Wände des ersten Innenhofes zeigten Wasservögel und Schiffe, Nethuns mit seinen fischschwänzigen Wassergreisen und die ihm zugehörigen Kräuter, Bachginster und Bachminze. Während sie darauf wartete, daß man Arnth von ihrer Ankunft benachrichtige, fiel Fasti auf, daß ein breiter schwarzer Streifen bei einem der Wassergreise die Flügel verdeckte, mit denen man diese Wesen sonst darstellte. Ruß zweifellos; eine Erinnerung an die Nacht, in der Numitor gestürzt worden war? Aber inzwischen war ausreichend Zeit vergangen, um derartige Überreste zu entfernen. Andererseits stand es durchaus im Bereich des Möglichen, daß solche Nebensächlichkeiten Arnth gar nicht auffielen.
    Einer der Sklaven näherte sich ihr, die Augen niedergeschlagen, wie es sich der Hohepriesterin gegenüber ziemte, und bat, die Edle Fasti möge ihm folgen, der König freue sich darauf, sie zu empfangen. Das bezweifle ich, dachte Fasti. Arnth war von Natur aus mißtrauisch und fragte sich gewiß, ob sie, oder vielmehr die Göttin Turan, schon wieder Forderungen um Unterstützung an ihn stellen wollte.
    Wegen der Mittagshitze hatte man vor das Fenster des Raumes, in den man sie führte, eine helle Leinwand gespannt, aber dennoch ließ sich der Gast, in dessen Gesellschaft Arnth auf sie wartete, von einem Sklaven Luft zufächeln. Der Barttracht und der Kleidung nach ein Inselgrieche; er wandte hastig die Augen ab, als sie eintrat. Wenn die Lage nicht so ernst gewesen wäre, hätte es Fasti belustigt. Die Griechen hatte eigenartige Sitten in bezug auf Frauen. Wie man hörte, ließen sie nur Sklavinnen und Huren ohne Begleitung durch die Straßen gehen und empörten sich über die hiesige Sitte, gemeinsam zu speisen. Da ein Grieche, der mit seiner Meinung zurückhielt, noch nicht geboren war, gab es in den zwölf Städten ein Sprichwort, das besagte, das einzige, was einen Hellenen noch mehr schrecke als ein phönizischer Handelsrivale, sei eine Frau der Rasna. Sie konnte sich denken, warum Arnth ihn bei sich behalten hatte. Mutmaßlich hatte er eine vorteilhafte Vereinbarung geschlossen und wollte ihr verdeutlichen, daß er nicht länger mehr nur auf die Unterstützung der Priester angewiesen war.
    Angesichts der Nachricht, die sie überbringen mußte, stellte die Anwesenheit des Griechen jedoch ein Hindernis dar. Sie nickte ihm flüchtig zu und erhob die Hand, um Arnth, der sich zu ihrer Begrüßung lächelnd erhoben hatte, Einhalt zu gebieten.
    »König von Alba«, sagte sie ernst, »das, was ich zu sagen habe, ist nur für deine Ohren bestimmt.«
    Es würde ohnehin bald genug Stadtgespräch werden, doch gerade jetzt konnte sie keinen fremden Zeugen gebrauchen. Arnth, den selbst seine Feinde nie als dumm bezeichnet hätten, begriff offenbar sofort, daß sie nicht hier war, um wegen weiterer Privilegien für den Tempel zu feilschen.
    »Alkinoos, mein Freund«, meinte er in seinem gewinnendsten Tonfall und in dem attischen Dialekt, der von den meisten Griechen bevorzugt wurde, »wir werden später weitersprechen, und heute abend werde ich zu Ehren unseres neuen Bündnisses mit Korkyra ein Gastmahl geben. Aber wenn die Götter gebieten...«
    »Gewiß«, entgegnete der immer noch etwas befangen wirkende Alkinoos, stand auf und entfernte sich hastig, wobei er peinlichst auch weiterhin jeden Blick in Fastis Richtung vermied.
    Als er verschwunden war, bemerkte Fasti trocken: »Korkyra? Bedeutet das, daß wir endlich wieder unser Erz über das Meer schicken können?«
    Die Griechen waren dabei, sich um das Meer auszubreiten wie Frösche um einen Teich, und mittlerweile war es fast unmöglich, sich am Seehandel zu beteiligen, ohne sich mit mindestens
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