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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin
Autoren: Tanja Kinkel
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hineinziehen«, stieß sie mit zusammengebissenen Zähnen hervor. »Es hat schon genug Zwist zwischen Tempel und Thron gegeben, glaube nur nicht, daß wir dich um dieser Lüge willen schützen werden.«
    »Es ist keine Lüge.«
    Fasti musterte Ilian, als sähe sie das Mädchen zum ersten Mal. In dem dämmrigen Licht der Zelle wirkten Ilians Augen, die braun waren, fast schwarz. Sie hatte eine sehr helle Haut, und so konnte man immer noch die roten Male, die Fastis Finger hinterlassen hatten, erkennen. Ihr herzförmiges Gesicht mit der breiten Stirn und dem spitzen Kinn würde in ein paar Jahren schön sein; jetzt wirkte es nur kindlich, da die hohen Wangenknochen noch nicht zur Geltung kamen. Ihr Haar war hochgesteckt, wie es sich gehörte, doch unter der Wucht von Fastis Schlägen hatten sich einige der dunklen Locken gelöst und standen im Widerspruch zu den zusammengepreßten Lippen. Fasti weigerte sich, etwas wie Rührung in sich aufkommen zu lassen.
    »Und welcher Gott«, fragte sie bitter, »soll das gewesen sein?«
    Insgeheim war sie gespannt auf die Antwort, die das Ausmaß der Katastrophe verraten würde. Nur die Priesterschaften von Nethuns und von Cath waren mächtig genug, den Zorn des Königs riskieren zu können, aber sie hatten bei seiner Inthronisierung geholfen, und es wäre töricht von ihnen, einen fähigen, geneigten Herrscher, der bereits alle gewünschten Reformmaßnahmen eingeleitet hatte, gegen ein Kleinkind, ein vierzehnjähriges Mädchen und den Mann, der das verwünschte Kind gezeugt hatte, einzutauschen. Andererseits stand es durchaus im Bereich des Möglichen, daß sich eine von ihnen von dem Machtwechsel mehr versprochen hatte und nun bereit war, es auf einen Aufruhr des Adels ankommen zu lassen, um die Verehrung ihres Gottes über die der anderen zu erheben. Nethuns war der traditionell Mächtigere, aber in den letzten Jahren waren Cath mehr und mehr Opfergaben gebracht worden, und wenn einer von beiden erhoffte, auf diese Weise den endgültigen Vorrang zu erreichen... Sie sah einen Bürgerkrieg vor sich, betrieben von gewissenlosen Ehrgeizlingen, sah Alba endgültig zugrunde gehen, seine Bewohner gezwungen, in den übrigen Städten des Bundes Zuflucht zu suchen, und es schauderte sie.
    »Keiner von unseren Stadtgöttern«, entgegnete Ilian, und die Last auf Fastis Schultern verringerte sich ein wenig. Das bedeutete, daß Ilian von niemandem unterstützt wurde und allein handelte. In diesem Fall war es weise, nicht einen der Götter, deren Priester hier in der Stadt weilten, als Vater zu beanspruchen; die Priester von Nethuns wären durchaus imstande, bis nach der Geburt des Kindes zu warten und sie dann zeremoniell als Strafe für ihre Blasphemie zu ertränken.
    »Was für ein Gott dann?« gab sie spöttisch zurück und war überrascht, Ilian mit einemmal die Beherrschung verlieren zu sehen.
    »Du glaubst mir nicht«, sagte Ilian heftig. »Als mein Vater solchen Unglauben zeigte, was den Willen der Götter anging, da nanntest du es Lästerung, Fasti, und bis heute dachte ich, du seist dabei aufrichtig gewesen, daß es dir um mehr ging, als um einen Machtwechsel. Nun, ich habe die Zeichen auch gelesen, Fasti.«
    Sie wandte sich von Fasti ab, kniete vor dem Altar nieder und legte ihre rechte Hand auf das Abbild der Göttin, das Fasti erst vor kurzer Zeit nichtsahnend wie jeden Morgen mit jungem Wein besprengt hatte. »Ich schwöre bei der geflügelten Turan und bei Nurti, die über das Schicksal regiert, daß ich nur dem Willen der Götter gehorcht habe. Sie haben sich mir offenbart. Ein Band wurde gebrochen um der Macht willen, und die Zwölf werden untergehen, aber wenn sich Leben und Zerstörung vereinigen, dann wird geboren, was in alle Ewigkeit fortdauern wird.«
    Die leidenschaftliche Aufrichtigkeit in Ilians Stimme ließ Fasti einen Moment lang zurückschrecken. Dann holte die Wirklichkeit sie wieder ein. Das Mädchen hatte gerade so gut wie zugegeben, daß sie die Entmachtung ihres Vaters übelnahm. Der Plan, mit dem sie diese wieder rückgängig machen wollte, war für eine Vierzehnjährige erstaunlich gut durchdacht, aber daß sie sich dabei der Götter bediente, war unverzeihlich.
    »Du hättest meine Nachfolgerin werden können«, meinte Fasti kopfschüttelnd und mehr traurig als ärgerlich. »Hätte das nicht genügt?«
    Ohne zu antworten, stand Ilian langsam auf. »Mein Kind ist das Kind eines Gottes«, erwiderte sie. »Geh nur zu meinem Onkel und berichte ihm das.«

    Der
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