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Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)

Titel: Die Sisters Brothers: Roman (German Edition)
Autoren: Patrick deWitt
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Männern.

Wir warfen die gesamte Ausbeute von vier Mann (zuzüglichder von Warm und Morris zuvor geborgenen Menge) zusammen und hatten: einen Eimer voller Gold! Ein Vermögen und so schwer, dass ich es allein nicht einmal anheben konnte. Ich bat Charlie um Hilfe, aber er wollte nicht. Ich sagte, das Zeug sei so schwer, und er sagte, das sei ihm klar.
    Und da ich jetzt gezwungen war, mir über das weitere Vorgehen Gedanken zu machen, widmete ich mich dem Nächstliegenden und sah mir das Pferd von Morris an. Es war ein robustes Tier, dennoch sattelte ich es mit schlechtem Gewissen, um es am Ufer probezureiten. Es bewegte sich ausgesprochen weich, ein echter Gentleman, doch sonderlich warm wurde ich nicht mit ihm. Das würde sich vielleicht ändern, wenn wir uns besser kannten, und so beschloss ich, es mir mit Zuckerbrot und Freundlichkeit gewogen zu machen. Zu Charlie sagte ich: »Ich denke, ich übernehme das Pferd von Morris.«
    »Oh«, entgegnete er.
    Warm war nicht transportfähig, ich glaubte auch nicht, dass es ihm noch helfen würde, wenn wir ihn in die Stadt brachten. Wenn ich bei ihm war, nahm er mich kaum wahr. Trotzdem wollte ich ihn nicht allein seinem Schicksal überlassen. Charlie wies zudem darauf hin, dass wir die Formel für die Formel noch nicht hatten. Ich sagte, das sei mir bekannt, aber was wir seiner Meinung nach jetzt tun sollten, einen Sterbenden foltern, nur um die genaue Zusammensetzung zu erfahren? Sein Ton war absolut ernst: »Sprich nicht so mit mir, Eli. Ich habe bei diesem Auftrag meine Arbeitshand verloren, und ich sage nur, was ich denke. Und warum sollte Warm es uns nicht freiwillig sagen, es ist doch sein Vermächtnis?« Charlie sah mich nicht an, als er das sagte, ich hatte ihn jedoch noch nie so sprechen hören, nicht einmal, als wir beide noch klein waren. Er klang sogar ein wenig wie ich. Er hatte vorher noch nie Angst gezeigt, aber jetzt schon, deshalb seine Ratlosigkeit. Er wusste schlicht nicht, was Angst bedeutet und wie er mit ihr umgehen sollte. Ich sagte, es täte mir leid, dass ich ihn so hart angegangen wäre, und er nahm meine Entschuldigung an. Da rief mich Warm, und Charlie und ich gingen in sein Zelt. »Was ist, Hermann?« fragte ich.
    Er lag auf dem Rücken, seine Augen waren nach oben auf die Firststange des Zeltes gerichtet. Der Brustkorb hob und senkte sich ungewöhnlich schnell, und er keuchte laut. Er sagte: »Ich diktiere euch jetzt, was auf Morris’ Grabstein stehen soll.« Ich holte Papier und Bleistift, kniete mich neben ihn und sagte, ich sei schreibbereit. Er nickte, räusperte sich und spuckte aus. Doch die dicke Spucke fiel in kurzem Bogen direkt auf seine Stirn zurück. Ich glaube nicht, dass er das noch merkte. Aber vielleicht war es ihm auch bloß egal. Wie auch immer, er wischte sich die Spucke nicht mehr ab und bat auch nicht um Hilfe. Er sagte nur: »Hier ruht Morris, ein guter Mann und ein guter Freund. Er schätzte die Annehmlichkeiten der eleganten Welt und scheute gleichwohl weder schwere Arbeit noch die Entbehrungen auf großer Fahrt. Er starb als freier Mann, was mehr ist, als die meisten Menschen ehrlicherweise von sich behaupten können. Die meisten Menschen sind an ihre Furcht und ihre Dummheit gekettet und außerstande, einen nüchternen Blick auf ihr Leben zu werfen. Die meisten Menschen machen weiter wie gewohnt, verdrossen zwar, aber unfähig, nach den Gründen dafür zu suchen oder auf eine Veränderung zu sinnen, und sie sterben mit nichts in ihrem Herzen als Schmutz und altem, dünnem Blut. Schwaches, verwässertes Blut! Ihre Erinnerungen sind keinen Pfifferling wert, wie ihr noch sehen werdet. Die meisten Menschen sind Dummköpfe, aber zu ihnen zählte Morris nicht. Er hätte ein längeres Leben verdient, denn er hatte noch viel zu geben. Wenn es also einen Gott gibt, dann ist dieser Gott ein wahrer Hurensohn.« Warm machte eine Pause und spuckte abermals aus, diesmal zur Seite, auf die Erde. »Es gibt keinen Gott!«, sagte er abschließend und schloss die Augen. Ich wusste nicht, ob der letzte Satz ebenfalls auf den Grabstein sollte, und fragte auch nicht nach, da Warm nach meiner Einschätzung nicht mehr bei Sinnen war und ich auch nicht vorhatte, seine Rede Wort für Wort in Holz zu ritzen. Aber ich versprach es ihm, und ich glaube, es war ein Trost für ihn. Er dankte Charlie und mir, und so verließen wir das Zelt und setzten uns ans Feuer, wo Charlie, seine verletzte Hand haltend, sagte: »Meinst du nicht, wir sollten
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