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Die Sirenen von Kalypso

Die Sirenen von Kalypso

Titel: Die Sirenen von Kalypso
Autoren: Andreas Werning
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den anderen Soldaten vor.« Er zögerte einen Augenblick. »Du bist ein wenig seltsam, Tajima.«
    »Bedauerst du, daß du mit mir eine Intimbeziehung eingegangen bist?«
    Ahiron nahm seinen Helm ab und strich sich über das helle Haar, das im Licht vieler Langtage gebleicht war. Ahiron war einer der ältesten Soldaten, die Tajima kannte. Und einer der erfahrensten.
    »Nein, natürlich nicht. Aber … ich höre deine Worte, aber ich verstehe sie nur selten. Manchmal stellst du seltsame Fragen, auf die ich keine Antwort weiß. Genieße einfach dein Leben, Tajima. Du bist ein guter Soldat. In deinen Dokumenten ist deine genetische Ahnenreihe verzeichnet. Gutes Material, kein Fehler. Du bist in Ordnung. Und deine innere Unruhe wird sich mit den Jahren legen.«
    »Wenn ich so lange lebe.« Leise, kaum wahrnehmbar. Nur ein Flüstern. Und die Hitze des Höllenfeuers über ihnen verbrannte seine Worte, löste sie einfach auf. »Und es gibt so viel, das ich nicht gesehen habe, soviel, das ich wissen möchte.«
    Die Fanfaren der Sänger ertönten. Die Klänge hallten weit über das Streitland, und wenn das Heer der Wyants jetzt bereits seine Ausgangsstellungen bezogen hatte, dann mochten die gegnerischen Kriegsherren diesen Ruf vernehmen. Nur wenige Sekunden verstrichen, und weit aus der Ferne klang ein verzerrtes Echo der Fanfarensänger: Der Ruf der Wyants. Sie waren ebenfalls bereit. Die Kampfgruppenleiter hoben die Arme, und die Armee setzte sich wieder in Bewegung. Tajima berührte einige Nervenpunkte dicht unterhalb des breiten Kopfes seiner Kampflibelle. Den Hügel hinab, auf dessen Kuppe sie gewartet hatten, ins Streitland hinein. Während sich die Streitlibelle auf ihren zwei Dutzend Rudimentärbeinen über Sand und heiße Steine hinwegbewegte, sah Tajima die Erinnerungsbilder des letzten Kampfes: Er roch den süßlichen Duft von Blut, er sah in die weit aufgerissenen Augen von Gegnern, denen er gegenübergestanden und die er getötet hatte. Er verspürte einen Schatten der Nervosität, die ihn im Kampf erfaßte: das seltsame Vergnügen, den eigenen Körper intensiver wahrzunehmen, das Gefühl, lebendig zu sein. Dies war die Erfüllung, von der die Soldatenphilosophie kündete und von der sein Intimfreund ständig sprach. Es war das Leben der Soldaten.
    Im Heerlager herrschte das Chaos vor Beginn einer Schlacht. Obwohl alles durcheinanderwogte, folgten alle doch einer festen Ordnung, die sich den flüchtigen Blicken eines Beobachters entziehen mochte. Die Soldaten bezogen Aufstellung. Fünfzig Kampfgruppen zu je zweihundert Mann. Je nach Fähigkeiten, Ausbildung und genetischen Voraussetzungen verfügten die Soldaten über Streitlibellen, Kampfmoskitos, Xanthippen, Giftwarane, Steinbrecher, Trockenkatzen oder gar Metamorpher. In dem Durcheinander erkannte Tajima für einen Augenblick den Kriegsbeobachter der Asketischen Kirche. Er achtete nicht auf ihn. Eine sonderbare Unruhe hatte ihn erfaßt. Seine Augen begannen zu tränen, und das blauweiße Riesengestirn am Himmel ließ die Feuchtigkeit sofort verdunsten.
    Auf das Durcheinander folgte Stille. Die Kampfhybriden bewegten sich unruhig. Auch sie spürten, daß eine neue Schlacht bevorstand. Und auch ihnen war in den Gebärkammern die Angst vor Verletzungen und Tod genommen worden. Wie den Soldaten.
    Vielleicht, dachte Tajima, bin ich doch nicht so fehlerlos, wie Ahiron immer behauptet. Vielleicht stimmt etwas mit meinen Genen nicht. Denn ich habe Angst …
    Aus dem größten und prächtigsten Zelt des Heerlagers trat eine in ein farbenprächtiges Gewand gekleidete hochgewachsene Gestalt. Die Soldaten bemühten sich, ihre Reittiere zu beruhigen, während Aimin Ohtani, einer der drei Hauptsöhne des Familienpatriarchen Karamanash Ohtani, an seinem Heer entlangschritt. Tajima blickte starr geradeaus. Doch aus den Augenwinkeln betrachtete er den Ohtani. Er hatte Aimin noch nie gemocht. Das hagere, sonnengebräunte Gesicht vermittelte auf unbestimmte Art und Weise einen weichlichen Eindruck. Die Augen waren trüb, und die ganze Haltung sprach von Arroganz und Ignoranz. Aimin Ohtani war etwa im selben Alter wie Tajima: vielleicht fünfundzwanzig oder sechsundzwanzig Normjahre.
    »Soldaten!« Die Stimme des Kriegsherren hallte über das Lager hinweg. Wahrscheinlich trug der Ohtani einen winzigen Akustikverstärker. »Endlich ist es soweit. Der Gegner erwartet uns. Ein Gegner voller Falsch und Haß auf euch, Soldaten. Ein Gegner, der euer Blut kosten will und vor nichts
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