Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die seltene Gabe

Die seltene Gabe

Titel: Die seltene Gabe
Autoren: Arena
Vom Netzwerk:
Eine ganze Weile starrte ich vor mich hin, während in meinem Kopf die Gedanken kreuz und quer durcheinander stoben, dann begann mir allmählich unheilvoll zu dämmern, was ich da gerade festgestellt hatte. Im Verlauf des heutigen Tages waren Nahrungsmittel aus der Speisekammer verschwunden. Aber Nahrungsmittel hüpfen nicht von selbst aus den Regalen, und sie lösen sich auch nicht spontan in Luft auf. Normalerweise verschwinden sie nur, wenn sich jemand ihrer annimmt, für gewöhnlich, indem er sie aufisst. Und da ich das nicht getan hatte, musste es jemand anders getan haben.

Kapitel 2 |
    Im nächsten Moment kam mir diese Überlegung schon wieder absolut lächerlich vor. Ich sah Gespenster. Ein Einbrecher, der Blutwurst, Milch und Käse stiehlt? Eine absurde Vorstellung. Trotzdem war ich beunruhigt. Ich ging in die Küche, ganz in Gedanken, und fand mich plötzlich vor der offenen Besteckschublade stehen, das große Fleischmesser in der Hand. War ich jetzt übergeschnappt? Ich pfefferte es zurück ins Messerfach, schob die Schublade zu und beschloss auf der Stelle einen Kontrollgang durchs Haus zu machen, um mich zu vergewissern, dass nirgendwo ein Fenster eingeschlagen oder ein Schloss aufgestemmt worden war oder sonst irgendetwas darauf hindeutete, dass jemand da gewesen war, der hier nichts zu suchen hatte. Immerhin, die Türe zum Keller war abgeschlossen, der Schlüssel steckte, und sie war aus Stahl: keine Chance für Eindringlinge. Den Keller musste ich also schon mal nicht durchsuchen und im Stillen dankte ich dem Erfinder jener Brandschutzvorschriften, denen das zuzuschreiben war. Nächste Station war das Wohnzimmer. Die Türen zur Terrasse waren fest verschlossen und unbeschädigt, die Vorhänge ordentlich zugezogen, und auch ein langsamer Rundblick ließ mich nichts entdecken, das nicht so gewesen wäre, wie es sein sollte. Als ich so im Wohnzimmer stand, wurde mein Blick jedoch wie magisch von dem schwarzen, stählernen Schürhaken angezogen, der an einem dicken Ziernagel neben dem Kamin hing. Unser Kamin, muss man dazu wissen, sieht zwar auf Fotos beeindruckend aus, ist aber ganz und gar unecht. Groß und wuchtig und wunderbar rustikal aussehend, aus echten, behauenen Steinen gemauert, könnte man nicht einmal einen Brief in ihm verbrennen, ohne das ganze Zimmer mit Rauch zu verpesten, denn er ist an keinen Schornstein angeschlossen. Um genau zu sein, es gibt überhaupt keinen für offene Kamine geeigneten Schornstein in unserem Haus. Deshalb liegt in der schmiedeeisernen Feuerstelle nur eine elektrisch betriebene Attrappe, die auf Knopfdruck aussehen kann wie dicke, glimmende Holzscheite und sogar eine gewisse Wärme ausstrahlt, und deshalb ist der Schürhaken nur eine Art Schmuckstück. Trotzdem war er aus solidem Stahl und ein schweres Ungetüm, mit dem man zur Not einem Einbrecher eins über den Schädel geben konnte. Mit diesen Hintergedanken nahm ich ihn vom Haken. Während ich meinen Rundgang fortsetzte, beruhigt, eine Waffe in Händen zu halten, und die Fenster kontrollierte, schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass ein Einbrecher sich ja nicht unbedingt nur an Lebensmitteln vergriffen haben mochte. Vielleicht hatte er in derselben unauffälligen Art einen von fünf Geldscheinen mitgehen lassen, eine von drei Perlenketten oder drei silberne Kuchengabeln aus einem ganzen Service? Wenn er das in jedem Haus so machte, kam auch etwas zusammen, und die meisten Leute würden es lange Zeit gar nicht bemerken. Ich rannte die Treppe hoch in mein Zimmer und kontrollierte hastig die Geldvorräte, die ich in meinem Schreibtisch in einem Geheimfach aufbewahre, das für den Fachmann möglicherweise so geheim doch nicht ist. Es war noch alles da. Auch sonst war in meinem Zimmer alles in Ordnung. Einen Augenblick fragte ich mich ernsthaft, ob ich dabei war, den Verstand zu verlieren. Eine neuartige Form von Alzheimer, die auch Jugendliche befiel? Ich versuchte mir vorzustellen, was ich zu hören bekäme, wenn ich die Polizei anrief und den unerklärlichen Verlust von vier Scheiben Vollkornbrot und einer halben Tafel Erdbeerschokolade meldete. Ich dachte an die Streife, der ich begegnet war, und stellte mir vor, wie die ins Haus kamen, um ihren Monsterhund in unserer Speisekammer Witterung aufnehmen zu lassen. War es nicht besser, sich damit abzufinden, dass Lebensmittel einfach verschwinden konnten? Aufgefressen von neuartigen, genmanipulierten Mäusen, die Packungen pasteurisierter Milch nicht nur
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher