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Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin
Autoren: Jocelyne Godard
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bringen. Aber da kamen die Meister Yann und Coëtivy zurück, und niemand durfte sich mehr unterhalten.
     
    Die Statuten der Stickergilde von Paris und der Bretagne orientierten sich, abgesehen von einigen kleinen Unterschieden, an denen der englischen Sticker. So waren nur männliche Meister, Arbeiter und Lehrlinge vorgesehen. Und die wenigen Frauen, die mit ihnen arbeiteten, wurden so schlecht bezahlt, dass sich die weniger wohlhabenden unter ihnen oft für einen anderen Beruf entschieden; die besser gestellten Frauen stickten deshalb häufig nur noch zum eigenen Vergnügen in einer Ordensschule, an der ihnen die Nonnen auch Unterricht in Malerei, Gesang und Instrumentalmusik erteilten.
    In weitaus größerem Maße als bei den Teppichwebern brachten die Stickereiwerkstätten ihren Meistern sehr viel Geld ein. Damals waren nur wenige Kirchen arm, und da die Sticker einen ehrgeizigen Klerus zu bedienen hatten, der ständig auf der Suche nach prunkvoller Ausstaffierung war, hatten sie fast immer genug Arbeit. Sie fertigten Chorröcke, Stolen, Messgewänder, Mitren, Dalmatiken, goldene Verbrämungen für Kirchenornate und andere priesterliche Gewänder an; außerdem Altardecken, Kirchenfahnen, Almosenbeutel und Kissen für die Kirche. All das wurde aus purpurroter, damastener Seide, schillernden Satinstoffen und mit Perlen und Goldfäden besticktem Samt hergestellt.
    Während sich Meister Coëtivy trotz seiner bald fünfzig Jahre sehr gut gehalten hatte, war auch der wohl etwas jüngere Meister Yann eine stattliche Erschienung.
    Vornehm, schlank und mit dem Gehabe eines Kleinadeligen, der sich vor mehr als zwanzig Jahren in die bessere Gesellschaft hochgearbeitet hatte und auf dieses Ansehen nicht mehr verzichten wollte, legte der Stickermeister größten Wert darauf, dass man ihn respektierte und keine seiner Regeln in Frage stellte, egal wie streng sie war.
    Seine schwarzen Haare verbarg er unter einer großen flachen Kappe, die schief auf seinem Kopf saß. Der Saum seines weiten Gehrocks mit ausgestellten Ärmeln und Bordüren aus golddurchwirktem Samt fegte elegant über den Boden und versteckte seine Füße in den eckigen Schuhen, die seit einiger Zeit die Mode der spitzen Schnabelschuhe abgelöst hatten.
    Die beiden Männer gingen nun zu den Männern, die in einem anderen Raum arbeiteten. Die Sticker waren mit einem riesengroßen Wandbehang vor einem etwa zwei Meter hohen Holzrahmen beschäftigt, auf den die Leinwand gespannt war. Eine Schnur lief lose um den großen Rahmen herum und spannte das Ganze in regelmäßigen Abständen. Zu ihren Füßen hatten die Sticker Körbe für das Werkzeug stehen: Scheren, Nadeln, Häkelnadeln, Instrumente zum Maßnehmen und auf Holzstäbe gewickelte Fäden.
    Die Männer arbeiteten schweigend und sahen auch nicht auf, als die beiden Meister den Raum betraten.
    »Zieh deine Schnur fester, Antoine«, sagte Meister Yann, als er an dem jüngsten Sticker vorbeikam. »Dann werden deine Stiche nicht so locker und gleichmäßiger.«
    Er blieb einen Moment hinter dem Arbeiter stehen.
    »Ja, sehr gut! Noch ein bisschen fester. Deine Schnur muss gut gespannt sein.«
    Dann fiel sein Blick auf Antoines Nachbarn, der kaum älter war.
    »Anselme! Räum dein Werkzeug auf. Schon wieder liegt alles herum. Wie willst du schnell arbeiten, wenn du ständig suchen musst, was du brauchst? Und stell den Korb neben deine Füße, er ist viel zu weit weg. Du musst alles mit einem einfachen Handgriff nehmen und zurücklegen können.«
    Etwas weiter hinten fügte ein Dutzend Männer auf parallel angeordneten Gestellen große Einzelteile eines Wandteppichs zusammen und nähte sie aneinander. Die Stoffe mit bunten Applikationen auf purpurrotem Untergrund schillerten in allen Farben und waren von erstklassiger Qualität. Auf jeder Bahn hatte man außerdem regelmäßige feine Verzierungen aus vergoldeten Lederstreifen angebracht, die die Fläche in gleichmäßige Quadrate unterteilten.
     
    Von weitem sah Meister Yann, dass sein Vorarbeiter zu Eloïse ging. Yaël war für die Abstimmung aller Arbeiten zuständig und leitete in Abwesenheit von Meister Yann die Werkstätten.
    Yaël war ein zuverlässiger und anständiger Arbeiter, kabbelte sich aber ständig mit den Arbeiterinnen, weil er begabte Frauen nicht ertragen konnte, und putzte sie herunter, sobald er merkte, dass sie irgendwie die Arbeit aufhielten. Deshalb hatte er auch oft Ärger mit den älteren Arbeiterinnen in der Werkstatt, die sich nichts von
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