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Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin
Autoren: Jocelyne Godard
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wird.«
    »Warum denn das?«
    Mit einer ungeduldigen Handbewegung schickte sie die Dienstmagd weg, die auf neue Bestellungen wartete. Dann besann sie sich eines Besseren und sagte freundlich:
    »Seid so gut und seht nach, ob meine Kinder schlafen und alles in Ordnung ist.«
    Und wieder an Marschall de Gié gewandt, bemühte sie sich um einen sachlichen Ton.
    »Euer Dienst dauert lediglich zwei Jahre, Monsieur de Gié.«
    »Und warum, wenn ich fragen darf?«
    »Weil mir danach das alleinige Erziehungsrecht für meinen Sohn zusteht.«
    »Deshalb werdet Ihr mich nicht entlassen können.«
    »Es gelingt mir mit Sicherheit, den König dahingehend zu überzeugen.«
    De Gié schluckte, ihm schwirrte der Kopf. Wie kam es nur, dass er in diesem Wortwechsel so kläglich unterging? Er, der große Diplomat! Und das bei einer Frau, die allerdings weder dumm noch oberflächlich wirkte? De Gié fühlte sich mit einem ganzen Bataillon Soldaten oder Männer wohler als in Gegenwart von Damen welchen Standes auch immer.
    Sollte sich diese junge Frau als ebenso klug und scharfsichtig wie energisch und leidenschaftlich erweisen, stand ihm eine harte Zeit bevor.
    Er kratzte sich unauffällig am Hals und suchte nach einer passenden Entgegnung, weil ihm aber nichts Vernünftiges einfallen wollte, polterte er schließlich:
    »Ich wette, das nehmt Ihr in ein paar Monaten zurück!«
    »Ihr scheint ja sehr von Euch überzeugt zu sein, Monsieur.«
    Sein eisiger Blick streifte Saint-Gelais verächtlich, um dann stolz und abweisend zu Louise zurückzukehren. Die aber nahm ihn nicht mehr zur Kenntnis, sondern erhob sich jetzt würdevoll.
    »Bis morgen, Monsieur.«
    Dann wandte sie sich an Jean, der seit seinem ersten und einzigen Einwand lieber den Mund gehalten hatte, und sagte leise, aber deutlich genug, dass es der Marschall verstehen konnte: »Gehen wir auf unser Zimmer, Jean. Uns bleibt noch die ganze Nacht für den Abschied.« Damit hatte sie ganz bewusst gegen sämtliche Standesregeln verstoßen.
    Es fehlte nicht viel, und de Gié wäre aufgesprungen. Er beherrschte sich aber, sah ihr nur nach und bestellte dann mit einem spöttischen Lächeln auf den Lippen sein Abendessen.
    Vor dem heißen Herd, auf dem die Poularden und Suppen vor sich hin köchelten, blieb Louise stehen und wartete auf Saint-Gelais. Ohne sich um die Meinung der Leute zu scheren und obwohl sie den Blick des Marschalls noch im Rücken spürte, nahm sie ihren Geliebten am Arm und zog ihn zu der dunklen Treppe, die in die obere Etage führte.
    Seite an Seite gingen sie im schwachen Licht einer Öllampe, die an einem Deckenbalken hing, nach oben. Der lange dunkle Flur im ersten Stock lud sie zu Vertraulichkeiten ein, und sie umarmten sich leidenschaftlich.
    Doch dann löste sich Louise aus Jeans drängender Umarmung und schob ihn sanft von sich.
    »Ich will erst noch nachsehen, ob meine Kinder gut schlafen«, flüsterte sie ihm ins Ohr, »ich komme gleich zu dir.«
    François lag zwischen Marguerite und Souveraine und schlief tief und fest, während die beiden Mädchen noch tuschelten. Ihr Sohn wirkte so glücklich und zufrieden, dass Louise vermutete, Marguerite habe ihm eine der Rittergeschichten erzählt, die er so gern hörte; vielleicht das Heldengedicht von Bayard oder das von Roland in Roncevaux. Vielleicht war es aber auch eine der griechischen Tragödien, die sie ihrem aufmerksamen Bruder oft sehr phantasievoll vortrug und die er so liebte.
    Louise drehte sich um und nickte ihren Zofen zu, die noch nicht schliefen. Die langen schwarzen Haare von Antoinette bildeten einen schönen Kontrast zu den blonden der anderen Frau. Jeanne rührte sich nicht, aber Antoinette richtete sich im Bett auf, doch ehe sie etwas sagen konnte, bedeutete ihr Louise zu schweigen und flüsterte: »Bis morgen.«
    Sie warf ihrer Tochter einen Kuss zu und schloss beruhigt die Tür hinter sich. Als sie dann zu Jean in das Zimmer nebenan ging, war sie ganz aufgewühlt. Dennoch ließ sie sich nur zu gern von den Liebesschwüren mitreißen, die er ihr ins Ohr flüsterte.
    Sie schämte sich ein wenig, dass sie diese Beteuerungen brauchte und ihm zu gefallen suchte. Würde sie Jean de Saint-Gelais überhaupt je wiedersehen? Doch darüber wollte sie in dieser Nacht nicht länger nachdenken.

25
     
    Als man Louise am nächsten Morgen den Besuch einer jungen Weberin namens Alix Cassex meldete, die die Gräfin d’Angoulême zu sehen wünschte, erhob sie sich mühsam und rieb sich die verweinten
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