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Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin
Autoren: Jocelyne Godard
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hervorragend bewältigt. Meinetwegen werdet Ihr sein Nachfolger, aber ich wünsche nicht, dass Ihr irgendetwas verändert. Was mich allerdings erstaunt, ist dass Ihr mit keinem Wort die Musik und die Poesie erwähnt habt.«
    De Gié musste lachen.
    »Musikunterricht, ich bitte Euch – sonst noch was! Weder Musik noch Poesie machen einen Mann aus Eurem Sohn.«
    Louise trommelte nervös mit den Fingern auf den Tisch und wollte gerade etwas entgegnen, als Saint-Gelais hochrot vor Zorn aufsprang und sich zu beherrschen versuchte.
    »Seit wann darf man einem Jungen, aus dem man einen Mann machen will, nicht die künstlerischen Werte nahebringen, die jeder vornehme Herr kennen sollte?«
    »Ist das Musizieren und Gedichtevortragen abends vor dem Schlafengehen nicht nur ein Vorwand für andere Beschäftigungen als die mit den künstlerischen Werten?«, antwortete de Gié ungerührt.
    Jetzt sprang auch Louise auf und warf dabei den Krug vom Tisch, der auf dem Boden zerbrach.
    »Hiermit teile ich Euch mit, dass ich darauf bestehe, dass diese beiden Fächer regelmäßig unterrichtet werden – zu welcher Tageszeit auch immer.«
    Zerstreut sah der Marschall zu, wie die junge Dienstmagd die Scherben zusammenfegte. Dann wandte er sich wieder an die Gräfin und sagte ohne weitere Umschweife:
    »Nun gut, meinetwegen! Dann bringen wir Eurem Sohn eben auch die künstlerischen Werte bei, und ich werde mich unverzüglich nach einem Lehrer für Musik und einem anderen für Poesie umtun.«
    Den lässigen Ton, den er auf einmal anschlug, fand Louise so beleidigend, dass sie einen Moment sprachlos war. Es kam ihr so vor, als hätte er das nur gesagt, um die albernen Launen einer Frau zu befriedigen.
    Mit den Fingerspitzen schob sie den Bratapfel mit Zimt weg, den die junge Bedienung ihr gerade serviert hatte.
    »Ihr solltet außerdem nicht vergessen, dass Ihr auch meine Tochter unterrichtet, Monsieur de Gié. Wenn Ihr der Lehrer von meinem Sohn sein wollt, seid Ihr auch der von Marguerite.«
    Nie zuvor hatte Louise einen derart stechenden Blick gesehen wie den von Marschall de Gié.
    Sie sah Saint-Gelais an, der sein Dessert ebenfalls nicht anrührte. Er hatte wohl schon aufgegeben und blickte zerstreut ins Leere. Dann bemerkte sie, dass der Marschall unauffällig mit den Fingern an der Krempe von seinem großen Hut spielte.
    »Eure Tochter soll ja wohl nicht etwa das Kämpfen lernen?«
    Diesmal reagierte Louise empört.
    »Mit Ausnahme dieses einzigen Fachs habt Ihr meine beiden Kinder exakt gleich zu unterrichten. Und in dieser Angelegenheit hat der König nichts zu sagen.«
    Weil ihm keine passende Antwort einfiel, drehte der Marschall wütend an seinem Hut.
    »Wie ich höre, ist Euer Sohn François d’Angoulême schon sehr mutig und ein fleißiger Schüler.«
    »Meine Tochter ist sehr strebsam und fleißig. François hingegen lässt sich leicht ablenken. Dafür zeichnet er sich durch einen äußerst wachen Verstand und großen Wissensdurst aus. Und sie sind alle beide sehr intelligent. Das kann Euch Monsieur de Saint-Gelais sicher bestätigen.«
    Das junge Dienstmädchen wurde von allen Seiten bestürmt. Trotz der vielen Bestellungen sorgte sie sehr geschickt dafür, dass am Tisch von Louise alles zu deren Zufriedenheit war. Mit ihrem kleinen herzförmigen Mund lächelte sie Saint-Gelais an und sagte:
    »Schmeckt Euch der Kuchen nicht, Monsieur? Wünscht Ihr vielleicht eine andere Nachspeise?«
    Der junge Mann sah sie zerstreut an. Die Kleine wirbelte mit dampfenden Tellern und gut gefüllten Weinkrügen zwischen den Tischen herum. Das Lächeln, das sie dem jungen Mann geschenkt hatte, verschwand, als die Gräfin d’Angoulême sagte:
    »Bringt die beiden Kuchen meinen Zofen Madame de Polignac und Madame Conte aufs Zimmer. Ich bin sicher, sie werden sich darüber freuen.«
    Dann wandte sie sich wieder an den Marschall de Gié und setzte ihre Erläuterungen fort.
    »Meine Tochter studiert Latein, Griechisch und Grammatik. Sie ist eine große Verehrerin der Wissenschaften und liest Abhandlungen, mit denen manche Jungen ihres Alters noch nichts anfangen könnten.«
    De Gié fuchtelte mit der Hand herum, als wollte er diese seiner Meinung nach überflüssigen Bemerkungen über Marguerite wegwischen.
    »Dem Wunsch des Königs entsprechend muss ich darauf bestehen, aus Eurem Sohn einen zukünftigen Ritter zu machen, Madame.«
    »Dagegen habe ich nichts einzuwenden, Marschall. Bedenkt aber bitte, dass Euer Dienst nicht von Dauer sein
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