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Die Seidenstickerin

Die Seidenstickerin

Titel: Die Seidenstickerin
Autoren: Jocelyne Godard
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gerichtet.
    »Von süßem Naschwerk soll man angeblich wunderbare glatte Haut kriegen. Hab ich nicht wirklich eine Haut wie ein junges Mädchen?«, fragte Jeanne und nahm sich mit spitzen Fingern ein schönes Stück Hühnerbrust.
    Zu jeder anderen Zeit hätte Antoinette darauf eine passende Antwort gehabt, jetzt war sie aber viel zu sehr damit beschäftigt zu verfolgen, was sich hinter dem Rücken von Louise zutrug.
    Dann bemerkte Jeanne, dass Saint-Gelais plötzlich in die gleiche Richtung wie Antoinette schaute. Auch er schien mit zunehmendem Interesse zu beobachten, was sich hinter dem Rücken seiner Geliebten abspielte.
    »Madame Gräfin d’Angoulême!«, sagte da jemand hinter ihr.
    Louise drehte sich überrascht um.
    Hinter ihr stand der dicke, kahlköpfige Meister Pierre mit seinen kurzen Beinen und runden Backen, und sein Gesicht war ganz rot von der Hitze in der Küche. Und neben ihm ein Mann, der wie das genaue Gegenteil aussah. Groß und schlank, mit ausgeprägten Gesichtszügen und dichtem schwarzem Haar, das graumeliert war, was Männern um die vierzig bekanntlich sehr gut steht, schien er sehr von sich überzeugt.
    Jetzt verbeugte sich der Unbekannte vor den Frauen und grüßte sie in einer weit ausholenden Geste mit seinem schwarzen breitkrempigen Hut. Obwohl sich Antoinette sehr bemühte, seinen Blick zu fesseln, waren die kalten grauen Augen des Neuankömmlings nur auf die Gräfin gerichtet.
    Überrascht stellte Louise den Steinkrug wieder ab, an dem sie gerade nippen wollte. Prüfend musterte sie das reich bestickte schwarze Samtwams des Mannes und seinen federgeschmückten Hut, den er in der rechten Hand hielt. Von so viel Selbstbewusstsein war sie einen Moment irritiert. Der Mann warf einen kurzen, bohrenden Blick auf Jean de Saint-Gelais, wandte sich dann aber wieder Louise zu.
    »Ich bin Pierre de Rohan, Marschall von Gié, und von unserem König, Louis XII., damit beauftragt, Euch zu Diensten zu stehen, Madame. Ich soll Euch nach Chinon begleiten und augenblicklich die Betreuung Eures Sohnes übernehmen.«
    Und ehe Louise ihm überhaupt antworten konnte, weil sie vollkommen überrumpelt war, wandte er sich an Saint-Gelais und musterte ihn unverhohlen geringschätzig, wenn nicht sogar verächtlich.
    »Monsieur de Saint-Gelais, nehme ich an?«, sagte er und fuhr, ohne die Antwort des jungen Lehrers abzuwarten, in anmaßendem Ton fort:
    »Euer Dienst bei der Gräfin d’Angoulême ist hiermit beendet, Monsieur de Saint-Gelais. Ich habe den Befehl des Königs, ihr zu dienen und sie überall zu beschützen, wo sie sich mit ihrem Sohn aufhält.«
    Dann konzentrierte er seine Aufmerksamkeit wieder auf Louise, die noch immer völlig verdutzt war.
    »Ich bin der neue Lehrer der Kinder aus dem Hause d’Angoulême«, erklärte er.
    Während Saint-Gelais ob dieser unerwarteten Wendung verstummt war, erholte sich Louise von ihrem ersten Schreck und antwortete empört:
    »Der Dienst von Monsieur de Saint-Gelais endet nicht heute Abend, sondern morgen früh, mein Herr.«
    An ihre Zofen gewandt fuhr sie fort:
    »Lasst uns jetzt bitte allein, meine Lieben, und tut mir den Gefallen und seht nach, ob die Kinder auch wirklich schlafen. Dann also bis morgen, meine Lieben. Dann werde ich unsere junge Freundin Alix empfangen.«
    »Guten Abend, Marschall«, verabschiedete sich Jeanne und schenkte dem Neuankömmling ein strahlendes Lächeln, das der umgehend erwiderte.
    Sie erhob sich und grüßte Louise zum Abschied mit der Hand. Antoinette stand ebenfalls auf und lächelte der Gräfin zu, ehe sie sich vom Tisch entfernte.
    Langsamer als ihre Freundin und mit viel sinnlicheren Bewegungen verließ Jeanne den Raum und folgte Antoinette nach oben.
    Louise, die nun mit den beiden Lehrern allein war, lehnte sich etwas zurück und schob den Steinkrug von sich weg, den sie kurz zuvor am Tischrand abgestellt hatte.
    »Ist es denn unbedingt nötig, dass wir in Eurer Begleitung in Chinon eintreffen?«, fragte sie den Marschall unfreundlich.
    »Der König wünscht es so«, antwortete er.
    »Ich vermute, es gibt weitere große Pläne.«
    De Gié musterte Louise herablassend.
    »Sehr wohl. Große Pläne für die Erziehung Eures Sohnes.«
    »Für seine Erziehung!«
    »Ja, ich werde Euren Sohn in Geschichte, Geographie und Grammatik unterrichten und ihm Reitstunden geben und das Bogenschießen beibringen.«
    Jetzt war Louise an der Reihe, ihr Gegenüber abschätzig zu mustern.
    »Monsieur de Saint-Gelais hat diese Aufgaben
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