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Die Sehnsucht Meines Bruders

Die Sehnsucht Meines Bruders

Titel: Die Sehnsucht Meines Bruders
Autoren: Joe Waters
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kleiner Scheißer!“ Zischte ich, stürzte mich auf ihn, packte ihn an den Haaren und schleifte ihn zurück in sein Zimmer, wo ich ihn aufs Bett schleuderte. Er kugelte ein paar mal um die eigene Achse. Fiel auf der anderen Seite des Bettes wieder herunter, wo ich ihn nicht mehr sehen konnte.
    Nur sein leises Lachen hörte ich noch, als ich seine Tür hinter mir schloss.
War er etwa so pervers, dass es ihm Spaß machte, wenn ich ihn rüde behandelte, ihm weh tat? Oder war das nur seine Art, über mich und meine Kraft letztlich trotz allem zu triumphieren?
Die ganze Sache war wirklich teuflisch – und ausweglos.
Und so kam es, dass ich nicht weiter über meine Phantasie beim Wichsen nachdachte, dass ich nicht realisierte, dass unter meinen Fingern aus dem langen schwarzen Drahthaar des Muskelprotzes plötzlich weiche seidige Locken geworden waren.
Drei
    Am nächsten Morgen kam James unangemeldet in mein Büro spaziert und setzte sich wie am ersten Tag in den Besuchersessel vor meinem Schreibtisch, die langen Beine weit von sich gestreckt.
    „Du hast Recht, Ray, ich bin einverstanden. Wir müssen uns dringend gründlich aussprechen. Was hältst du von zwei Wochen Bergwandern? So richtig mit Gepäck. So dass wir uns völlig verausgaben. Sieht nicht so aus, als würde es in nächster Zeit regnen. Sonst können wir ja auch in Hütten oder Scheunen übernachten.“
    Ich bewunderte seinen Mut. Ob Robert geahnt hatte, dass seine Angstfreiheit so weit gehen würde? „Hast du keine Angst, dass ich dich da oben endgültig auseinander nehme, wenn mich keiner aufhält?“
    Er grinste. Seine Augen blitzten übermütig. „Das Risiko nehme ich auf mich. Ich weiß mich schon zu wehren. Ist dir eigentlich nicht aufgefallen, dass ich nie zurückschlage? Im Notfall tue ich das. Was du mir an Kraft voraus hast, gleiche ich mit Schnelligkeit und Wendigkeit aus. Du wirst schon sehen.“
    Ich senkte beschämt den Kopf. Es stimmte, er hatte sich bisher nie gewehrt. „Warum?“, fragte ich leise.
    „Frag mich das noch mal, wenn du mir gesagt hast, warum du immer so extrem auf mich reagierst.“ Jetzt war er es, der seinen Kopf senkte. So leise, dass ich es kaum verstand, flüsterte er: „Ist es, weil du glaubst, ich hätte dir den Vater genommen?“
    „Vielleicht, aber nicht nur. Nun gut, machen wir die Wanderung. In den Bergen können wir uns in Ruhe aussprechen.“
    Schon wieder erwischte ich mich, wie ich mit dem Bleistift auf meinen Schreibtisch trommelte. Einen Augenblick lang zweifelte ich allen Ernstes an meinem Verstand. Ich hatte nicht nur nicht die blasseste Ahnung, wie dieser verdammte Bleistift in meine Hand geraten war, noch wie ich diesen zwei Wochen Wandertour mit meinem ‚geliebten Brüderchen‘ so schnell und unüberlegt hatte zustimmen können.
    Leicht verwirrt erhob ich mich. „Ich hab noch viel zu tun. Willst du dir nicht schon mal etwas an Ausrüstung kaufen? Ich hab alles im Appartement, was ich brauche. Im Schrank im Flur. Kannst es ja mal durchsehen. Ich kann dir bestimmt einiges leihen. Auf jeden Fall den Schlafsack, aber ein paar gute Wanderschuhe solltest du dir schon besorgen. Und kauf Pemmikan und genügend Nahrungspäckchen für uns beide, ja? Du weißt schon, diese Astronautennahrung, die es neuerdings gibt. Ist am praktischsten.“
* * *
    In den nächsten Stunden besprachen Claire und ich alles, was sie in den nächsten zwei oder drei Wochen noch an Dingen weiterführen musste, die ich bearbeitet und angedacht hatte.
    Sie hatte nicht die geringsten Schwierigkeiten gehabt, seit sie mich vertrat, und darüber freute ich mich. Ich arbeitete gerne mit ihr zusammen, mochte sie sehr. Es hätte mir Leid getan, im letzten Augenblick doch noch jemand anderen für den Job suchen zu müssen.
    Und sie war eine Augenweide. Natürlich war sie nicht mehr jung, doch das tat ihrer natürlichen Eleganz nicht den geringsten Abbruch, im Gegenteil. Jeder mochte sie, sie wirkte irgendwie ausgleichend auf die Gemüter – auch auf meines. Besonders heute freute ich mich, dass sie wieder ein wenig Normalität in meinen Tag brachte.
    „Sie sehen gut aus heute, Claire, neues Kleid?“ Sie wurde doch tatsächlich ein wenig rot. Anscheinend war sie nicht besonders an Komplimente gewöhnt. Doch es war nicht an mir, das zu ändern, dachte ich ein wenig traurig. Auch bei ihr war wohl der zeitraubende Job das größte Hindernis für eine erfüllte Beziehung. Ich sollte viel mehr Zeit mit Lisa verbringen, vielleicht kamen wir uns
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