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Die Sehnsucht ist größer

Die Sehnsucht ist größer

Titel: Die Sehnsucht ist größer
Autoren: Andrea Schwarz
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kommt mir das sehr schnell vor - und ich sage es auch. Er schaut mich besorgt an: »Ich fahr grad 30!« Beim Abschied erinnert er mich daran: »Denk dran, auf der Autobahn mußt du mindestens 60 fahren!« Peter hat die Wohnung und die Post gut versorgt, es gibt keine mittleren Katastrophenmeldungen, Hildegard hat Brot mitgeschickt, frische Blumen stehen auf dem Tisch...
    Und doch ist es nicht einfach. Ich ignoriere erfolgreich die Poststapel, sitze an meinem Eßtisch, habe die CD mit der Musik aufgelegt, die immer von dem kleinen Geschäft in Santiago zu mir ins Hotelzimmer hochklang - und in mir sind ganz viele Bilder...
    Maria hat heute mittag gesagt: »Ich weiß gar nicht mehr, wie das geht, nicht zu pilgern. Was macht man, wenn man am Abend kein Refugio suchen muß, keine Planung für die nächste Wegetappe macht, sich nicht mit anderen über den Weg unterhält, nichts zu essen organisieren muß? Wie ist das, wenn man am Morgen keinen Rucksack packen muß, um wieder weiterzuziehen? Wie macht man das, nicht mehr so zu leben?« - Ja, wie macht man das? Was mache ich am Donnerstag mit der Kursgruppe? Und wie soll ich am Dienstag Supervision geben? Wie macht man das, in den Alltag zurückzukehren? Und so verändert in den Alltag zurückzukehren? Ich weiß es auch nicht... und ich bin im Moment ratlos. Das Auto fährt zu schnell, die Wohnung ist so groß, der Kleiderschrank so voll,...
    Der camino geht weiter - aber ich hab grad die gelben Pfeile verloren.
     
     

Sonntag, 6.7.
     
     
    Donnersberg, 14.00 Uhr
    Beim Wandern muß ich mir regelrecht klar machen, daß ich nicht mehr auf dem camino bin. Der Blick nach gelben Pfeilen ist aussichtslos, und wenn ich die anderen Wanderer mit »hola!« grüßen würde, würde ich auch nur verwunderte Blicke ernten. Gleich bleibt, daß ich auch hier ins Schwitzen komme, die Wege teilweise naß und glitschig sind - und daß ich noch einen guten Schritt drauf habe. Das Laufen tut nach den Tagen in der Stadt und der langen Zugfahrt gut. Heute morgen hat mir die Achillessehne anscheinend vom Nicht-Laufen weh getan. Seitdem ich unterwegs bin, ist alles wieder okay.
    Ein bißchen komme ich inzwischen schon an - wenn mir auch grad alles noch zu groß, zu schnell, zu viel und manchmal auch zu laut ist. Erste Aufräum- und Wegräumaktionen, eine Liste, was ich in dieser Woche kaufen oder organisieren muß, die restlichen Peseten sind aus dem Portemonnaie geräumt,...
    Mir tut es gut, daß es Menschen gibt, die sich freuen, daß ich wieder da bin...
     
     

Montag, 7.7.
     
     
    Mainz, 17.00 Uhr
    Die Filme sind abgegeben, die Uhr hat wieder ein Armband, ich war schon beim Friseur, habe die CD mit dem Lied »Go west!«, die erste Tagebuch-Datei ist in den Computer eingetippt. Dieses Tagebuch abzuschreiben, das wird nochmal eine ganz eigene Auseinandersetzung mit dem Weg werden.
    Der liebe Gott tut wirklich nichts als fügen - daß am Dienstag die Supervision ausfällt und der Kurs nicht stattfindet, erlebe ich als ein Geschenk des Himmels. Das gibt mir den notwendigen Freiraum, den ich jetzt brauche. Der Kurs mit den Familienpflegerinnen noch und die Woche in Würzburg - und die drei folgenden Wochen bin ich daheim. Ich glaube, das wird mir gut tun...
    Sehr berührt hat mich gestern die Lesung im Gottesdienst, die Berufung des Ezechiel: »Steh auf, ich will mit dir reden« und »geh zu dem widerspenstigen Volk!« Das ist nochmal Auftrag, Berufung und Sendung - und Aufbruch.
     
     

Donnerstag, 10.7.
     
     
    Achern, 14.00 Uhr
    Als ich gestern den letzten Tagebucheintrag von St.-Jean in den Computer tippte, fiel mir auf, daß mein camino von »Sendungsstellen« eingerahmt ist. Am Samstagabend in St.-Jean war
    es die Aussendung der Jünger bis ans Ende der Welt, beim Gottesdienst in Freimersheim die Berufung des Ezechiel, in Carrión die Aussendungsstelle mit dem »Nehmt nichts mit auf den Weg!« - und als ich heute die Tagesschriftstellen nachschlug - schon wieder genau diese Stelle. Und die Schriftstelle kommt am Sonntag gleich nochmal.
    Das »wozu« meines camino und das »wozu« des Theologiestudiums stehen im Kontext mit den Menschen, steht im Kontext mit Sendung und Beauftragung. In Dienst genommen...
     
     

Sonntag, 13.7.
     
     
    Karlsruhe, 1.00 Uhr
    Es war ein schöner Abend mit Klaus - ich konnte erzählen -, und Klaus konnte gut zuhören.
    So allmählich habe ich das Gefühl, der camino ist im Moment so weit erzählt, wie er erzählt werden kann.
    Der äußere Weg wird morgen
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