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Die Sehnsucht der Pianistin

Die Sehnsucht der Pianistin

Titel: Die Sehnsucht der Pianistin
Autoren: Ruth Nachtigall Nora Roberts
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viel zu lange aufgeschoben.“ Unruhig stand sie auf und trat ans Fenster. „Ich war sehr jung, als ich deinen Vater heiratete. Achtzehn Jahre.“ Sie schüttelte den Kopf. „Gott, ist das lange her. Damals war ich natürlich ein ganz anderer Mensch. Er hat mir völlig den Kopf verdreht. Er war fast dreißig und war gerade von einer Tournee zurückgekommen. Paris, London, New York … ich fand es schrecklich aufregend.“
    „Seine Karriere ging dem Ende zu“, sagte Vanessa ruhig. „Er hat nie davon gesprochen, aber ich habe darüber gelesen. Und es gab natürlich viele ‘Freunde’, die sich mit Wonne darüber den Mund zerrissen.“
    „Er war ein brillanter Musiker, das kann ihm niemand nehmen.“ Loretta wandte sich um. In ihren Augen lag eine tiefe Traurigkeit. „Leider hat er es sich selbst genommen. Als er auf der Karriereleiter nicht die Höhe erklimmen konnte, die er sich vorgestellt hatte, hat er die Flinte ins Korn geworfen. Als er zurückkam, war er vergrämt, mürrisch und ungeduldig.
    Ich war ein sehr einfaches Mädchen, Vanessa, und hatte ein einfaches Leben geführt. Vielleicht war es gerade das, was ihn anfangs reizte. Und mich reizte seine Weltgewandtheit. Ich war ganz überwältigt von ihm. Wir machten einen großen Fehler – alle beide. Ich wurde schwanger.“
    Sprachlos vor Entsetzen starrte Vanessa ihre Mutter an. „Mit mir?“ Mühsam stand sie auf. „Du hast meinetwegen heiraten müssen?“
    „Wir haben geheiratet, weil jeder in dem anderen nur das sah, was er sehen wollte. Das Ergebnis warst du. Als du empfangen wurdest, glaubten wir beide fest daran, uns zu lieben. Vielleicht war es sogar Liebe, auf eine gewisse Art.“
    „Du warst schwanger“, sagte Vanessa tonlos. „Da hat man keine Wahl.“
    „Man hat immer eine Wahl. Du warst kein Missgeschick, Vanessa, und auch keine Ausrede. Du warst der beste Teil von uns, und das wussten wir beide. Es gab keine Szenen oder Vorwürfe. Ich war selig, sein Kind zu tragen, und er war ebenfalls glücklich. Das erste Jahr unserer Ehe war gut, wirklich gut.“
    „Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“, murmelte Vanessa erschüttert.
    „Du warst das Beste, was mir je widerfahren ist, Vanessa. Und deinem Vater. Das Tragische ist nur, dass wir das Schlimmste waren, was uns gegenseitig widerfahren konnte. Dafür warst aber nicht du verantwortlich. Was immer anschließend auch geschehen ist, dich zu haben machte alles erträglicher.“
    „Was ist anschließend geschehen?“
    „Meine Eltern starben, und wir zogen in dieses Haus. Es war das Haus, in dem ich aufgewachsen war, das mir gehörte. Lange Zeit habe ich nicht begriffen, wie sehr ihn das störte. Ich glaube, er war sich selbst nicht darüber im Klaren. Du warst damals drei. Dein Vater war rastlos. Er hasste es, hier auf dem Land zu leben, aber wagte es auch nicht, eine neue Karriere zu starten, weil er Angst hatte zu versagen. Er begann dich zu unterrichten und verwendete von nun an seine ganze Energie darauf, aus dir den Weltstar zu machen, der er nicht werden konnte.“
    Sie drehte sich wieder zum Fenster. „Ich habe ihn nicht daran gehindert. Ich habe es nicht einmal versucht. Du wirktest so glücklich am Klavier. Je vielversprechender du dich entwickeltest, desto bitterer wurde er. Nicht gegen dich, sondern wegen seiner Situation und natürlich gegen mich. Und ich wurde auch bitter gegen ihn. Du warst das Einzige, was wir beide jemals zusammen gut gemacht hatten, und das Einzige, das wir beide lieben konnten. Aber es genügte nicht, dass wir auch einander liebten. Kannst du das verstehen?“
    „Warum seid ihr zusammengeblieben?“
    „Ich weiß es nicht genau. Gewöhnung, Angst, ein kleiner Hoffnungsfunke, dass wir vielleicht doch wieder zueinanderfinden … Aber im Endeffekt haben wir uns nur noch gestritten. Ich weiß, wie sehr dich das später belastet hat. Als du älter wurdest, bist du oft aus dem Haus gelaufen, um unseren Streitereien zu entgehen. Wir haben bei dir versagt, Vanessa, alle beide. Und obwohl er Dinge getan hat, die egoistisch und unverzeihlich waren, habe ich noch mehr versagt, denn ich habe sie geduldet. Anstatt es besser zu machen, habe ich nach einem Ausweg gesucht … und ihn bei einem anderen Mann gefunden.“
    Loretta fand den Mut, ihre Tochter wieder anzusehen. „Es gibt keine Entschuldigung dafür. Dein Vater und ich waren zwar nicht mehr intim miteinander, genau genommen kaum höflich, aber es hätte trotzdem andere Alternativen für mich gegeben.
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