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Die Seelenpest

Die Seelenpest

Titel: Die Seelenpest
Autoren: Jürgen Seidel
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mit der Feder.
    »Man sagt, Sie würden schamlos lügen«, meinte der Richter jetzt.
    Der Brautbeschauer schaute auf den König. »Sire, nein, ich lüge nie!«
    »Ich bitte Sie!« Der Richter schnalzte mit der Zunge. »Schon diese Geschichte mit den Händen der Prinzessin und den Haaren…!«
    »Es ist die reine Wahrheit, Sire!« Boggis schwitzte plötzlich stark. »Mein König, ich…« Er knetete die feuchten Hände, schielte nach der Tür, wo plötzlich andere Wachen standen. Mit Hellebarden in der Hand. Ketten klirrten leise. »Ich bin Ihr Diener, Sire. Was ist das, Mantelfahrten? Was für ein Mantel denn? Wer sagt so etwas?« Er blickte plötzlich Thomas Morland an. »Ach so! Sie sind es. Dieser ehrenwerte Gentleman hat mich als Übeltäter angeprangert, jetzt verstehe ich. Danke sehr, Sir Thomas, für die Dienste, die ich Ihnen schenken durfte. So ist das jetzt…!«
    »Sie schweigen besser!«, forderte der Richter. Thomas hüstelte verlegen, er blickte emsig weg. Der Richter las von einem Zettel ab. »Man sagt, dass Sie Papier verzaubern können, so dass es wie ein Vogel in den Himmel fliegt.«
    »Man faltet es auf eine ganz bestimmte Weise…«
    »Das möchten wir nicht hören, Sir. In Ihrem Haus fand man gewisse Puppen, das Ebenbild des Königs und die jener Schüler, die man tot gefunden hat. Sie hätten damit in der Öffentlichkeit Szenen aufgeführt, in denen unser König dunkle Rollen spielt.« Der Richter murmelte dem Schreiber etwas zu. Der König kaute.
    »Nur Unterstellungen! Das war ein Kinderspiel. Ich möchte bitten, dass ich den Bericht aus fernen Ländern wie gewöhnlich an dieser Stelle zu seinem Ende bringen darf… Die Prinzessin, Sire, im Sultanat…«
    »Der König hört Sie nicht mehr. Wir wissen ebenfalls und klagen an, dass Sie mit einem Lehrer Umgang hatten, der schwer verletzt von einem Mordversuch an einem Schüler niederliegt«, stellte der Richter fest.
    Der König blickte hoch.
    »Umgekehrt«, rief Boggis. Ihm brach die Stimme. »Der Schüler wollte ihn erschlagen, deshalb ist Clifford doch verletzt!«
    »Sie geben also zu, den Mann zu kennen.«
    »Nein, ich… Ich möchte nur… Der König…«
    »Der König hört Sie nicht.«
    »Ich bin der Treueste der Treuen, Sire«, rief Boggis weiter. Er riss die Hände hoch und bettelte zum König hin. »Ich bin der Einzige, der Euch verstanden hat. Ich habe nie gelogen. Ich glaube an das große, neue Reich, von dem Ihr mir erzählt habt, persönlich, im Vertrauen…« Er blickte um sich. »Ich verstehe… Aber ich bekenne keine Schuld!« Er schwieg. Die Wächter traten hinter ihn und klirrten mit den Ketten. Der Schreiber reinigte die Feder, schloss das Tintenglas und stieß die Blätter auf dem Tisch zusammen. Der Richter machte neue, für Thomas unbekannte Zeichen. Dann führte man den Brautbeschauer ab.
     
     
    N OCH NIE ZUVOR HATTE S IR T HOMAS M ORLAND ein Verhör im Towergefängnis durchführen müssen. Er ekelte sich. Der Gefangene war nicht zu sehen, weil er in einem Kellerkerker lag, der mit dem Schreibzimmer nur durch ein winziges vergittertes Fenster verbunden war, das sich in einer Wand des Zimmers dicht am Boden befand. Er, Thomas, hatte nicht einmal gewusst, dass es solche Räumlichkeiten gab. Aus dem Loch am Boden stank es schlimmer als alles, was er aus Newgate Prison oder anderen Gefängnissen kannte.
    Der Sekretarius war bleich wie Leinen und schon ein paar Mal hinausgelaufen. Thomas hatte keine Wahl. Sir Julian Pinchbeck hatte sich den Spaß erlaubt, die königliche Order persönlich ins Gericht zu bringen. Die Order lautete, den Angeklagten Aron Boggis peinlich zu verhören, ob er schuldig sei am Tod von Schülern des New Inn und anderen Schulen in und außerhalb der Stadt.
    Jetzt war die vierte Stunde um, das Protokoll war fertig. Der Blutknecht hatte den Gefangenen so weit gebracht, dass er geredet hatte.
    Thomas trank den zweiten Krug verdünntes Bier. Etwas in ihm trocknete die Seele aus, egal wie viel er schluckte. Es war ihm peinlich, dass der Sekretär es sah, den er nicht kannte. Er kannte niemanden im Tower. Bislang war es ihm immer irgendwie gelungen, den Fuß nicht in diesen Rabenhorst zu setzen.
    Was der Gefangene bislang gebeichtet hatte, gefiel Thomas nicht. Der Kerl klagte indirekt den König an; das Protokoll in dieser Form war nutzlos. Heinrich Tudor habe ihn, den Brautbeschauer, mit Privilegien ausgestattet, um einen »Gotteskrieg« zu führen. Thomas war nah daran gewesen, dem Blutknecht freie Hand zu
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