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Die Seelenpest

Die Seelenpest

Titel: Die Seelenpest
Autoren: Jürgen Seidel
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trägt.«
    »Sie wird mit ihm nach Norden gehen«, sagte Thomas. »Mit diesem Andrew. Es gibt Kuriere, die von einem Haus aus, das im Asylum Whitefrairs liegt, geheimen Zugang zu den Toren haben, insbesondere Moor Gate. Du führst sie hin und kehrst zurück, um mir zu sagen, ob sie sicher ihren Weg gefunden haben.«
    »Natürlich, Sir.«
    »Ich gebe dir das Geld und die Papiere. Merk dir, es ist ein Mann namens Maximilian, er hat nur einen Arm und spricht mit Akzent. Er wird vorher instruiert; du sorgst dafür, dass die Kinder dieses Haus finden und dass sie dort die Pässe und Parolen zeigen können. Ich werde sie nach Stamford schicken, zu Harris Weiland, du kennst ihn. Er nimmt sie auf und sorgt dafür, dass sie unbehelligt bleiben, bis etwas Ruhe eingetreten ist. Wir werden beide unser liebes Kind verlieren, ich weiß, dass du an ihr hängst, Raspale. Gott segne dich, du kluger Narr. Wir sehen uns später.« Thomas legte die Hand auf seine Schulter. »Was wirst du einmal damit tun?«, fragte er und zeigte auf das große, offene Buch.
    »Ich werde fliegen, Sir. Es ist die höchste Zeit für mich. Man sollte Abschied nehmen, bevor der Weg zu steil wird.«
    Thomas ging zum Fenster. »Was redest du denn da?« Er zeigte auf den Folianten. »Es ist so etwas wie ein Zauberbuch, wenn ich es richtig sehe.«
    »Ja, Sir. Ein Märchen aus dem Morgenland, erzählt von so genannten Mantelfahrten. Dort fliegt man mit einem Zaubermantel, den man überzieht. Er soll aus Vogelfedern sein.«
    »Ist das nicht gefährlich?«, fragte Thomas. »Bei uns zumindest, wenn man bedenkt, dass wir es hier als Hexenwerk betrachten könnten. Stell dir vor, ich würde dem Gericht erzählen, dass du Mantelfahrten unternimmst. Sie würden dir doch sofort unterstellen, dass du ein Hexenkönig bist und diesen ganzen Unsinn.«
    »Das könnte sein, Sir.« Raspale klappte den Folianten zu.
    Thomas reichte ihm die Hand. »Bitte, sorge heute noch dafür, dass Margaret es erfährt. Sie soll mich wieder lieben, ich bin ihr Vater, alter Narr…« Er schenkte ihm ein Geldstück und gab ihm die Erlaubnis, sich aus der Vorratskammer fünf große Kerzen und ein Fässchen Bier zu nehmen.

38. K APITEL ,
    in welchem die Gerechtigkeit obsiegt
     
     
     
    Der Saal war riesig und fast leer. Jedes Wort verlor sich in der Höhe und der Weite. Thomas saß auf seinem angestammten Platz und bebte innerlich.
    Der König saß etwa siebzig Fuß weit entfernt an einer Tafel, die fast die gesamte Breite des Saales einnahm. Dort türmten sich die Speisen: Fleisch, Fisch, Geflügel von aller Art und Farbe, Eier, Kuchen, Würste, Käse, daneben standen Blumenpyramiden aus buntem Zuckerguss, Spielzeugpaläste aus Baiser und Schokolade. Der König aß, er fraß.
    Aron Boggis saß auf einer Bank, die an der Seite unter einem hohen Fenster stand. Ein Richter, der gleich neben Thomas Platz genommen hatte, machte jedes Mal ein Zeichen, wenn Boggis sprechen durfte.
    »Salvavi animam meam«, sagte er halblaut. Es gebe keine Schuld in seinem Herzen. Ihm sei von Gott verziehen worden.
    »Das heißt genau«, erklärte er, »ich habe kein Gefühl gekannt, wenn ich die Damen traf, ausschließlich den Verstand im Dienste Eurer Majestät, das will ich heilig schwören! Ich beginne mit Navarra, Majestät, wenn Sie erlauben.« Er leckte sich die Lippen. »Der Palast ist äußerst schmutzig, die umgebenden Wege ebenfalls. Es regnete und ich versank im Kot. Ein Stallmeister, oder was er war, empfing mich übellaunig. Man ließ mich sieben Tage warten, bis man mich vorließ, um die Infantin anzusehen. Ich empfehle keinen Handel, Sire, es lohnt nicht im Geringsten.«
    Der König kaute still.
    Er schien auf das, was Boggis sagte, nicht zu reagieren. Stattdessen saß ein Schreiber in der Ecke und notierte emsig.
    »Die Infantin ist sehr dünn«, erzählte Boggis weiter. »Ihre Hände sind zu feucht. Sie lispelt außerdem und isst Flöhe aus dem Flohpelzchen, das sie beständig bei sich trägt. Ich bin ihr gar nicht nah gekommen, ich wollte nicht. Sie hätten keine Freude an ihr, Sire, zumal sie kränkelt, Hunde küsst und selten lächelt.«
    Der König biss, er riss und malmte.
    Ein Diener rief den Koch aus, der von Bütteln auf einem großen Stuhl in den Saal getragen wurde. Er wurde abgesetzt. Die Träger flüchteten. Der Koch stand auf und wedelte mit einer Fackel. Er war bekleidet wie ein Feldherr aus dem Mohrenland, der Kragen seines roten Mantels stand weit ab. Auf seinem Kopf prunkte ein
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