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Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)

Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)

Titel: Die Seelenfischer (Seelenfischer-Trilogie) (German Edition)
Autoren: Hanni Münzer
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frühen Morgen hatte es kurz und
heftig geregnet, aber nun war bereits alles wieder trocken und die Luft roch
würzig und rein. Die frisch gebadeten Vögel veranstalteten ein vergnügtes
Zwitscherkonzert, satt und zufrieden von dem, was die feuchte Erde ihnen reichlich
darbot. Rabea, die alle Tiere geliebt hatte, hätte ihre Freude an den
fröhlichen Piepmatzen gehabt.
    Es
war der Tag ihrer Beisetzung.
    Alt
und gebeugt, dabei schwer auf seinen Holzstock gestützt, stand Großvater
Rosenthal neben Lukas von Stetten vor dem schlichten Grabstein aus Granit.
Rabea ruhte nun direkt neben ihrer geliebten Großmutter. Die Lippen des Rabbi
bewegten sich in stummem Gebet, während sich eine einzelne Träne aus seinem
Auge löste und ihm die zerfurchte Wange hinab lief. Die wenigen übrigen
Trauergäste, die aus Lucie, ihren Eltern, Jules und einigen alten
Schulkameraden sowie ein paar Journalistenkollegen Rabeas bestand, warteten
ruhig das Ende seines Gebetes ab, einige von ihnen selbst in stiller
Zwiesprache mit der Toten verbunden. Einzig Lucie schluchzte hemmungslos vor sich
hin. Ihre Mutter Evelyn stand dicht neben ihr und reichte ihrer Tochter unablässig
frische Taschentücher.
    Auch
Lukas selbst war in sein Gebet versunken, doch er konnte sich nicht richtig
darauf konzentrieren. Seit mehreren Tagen versagte ihm das Gebet den Trost, den
er früher stets darin gefunden hatte. Es war sein zweites Begräbnis innerhalb
von zwei Tagen. Erst gestern Abend war er spät von der Insel Lampedusa
heimgekehrt, wo er auf Wunsch von Simones Eltern den Trauergottesdienst für
seinen Freund abgehalten hatte. Eigentlich hätte Rabeas Beisetzung vor der von Pater
Simone stattfinden sollen, innerhalb der vorgesehenen 24-Stunden-Frist, die
zwischen Tod und Beerdigung eines jüdischen Bürgers liegen sollte. Doch die
römischen Behörden hatten mit der Begründung, dass die junge Frau einem
Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen war, die Freigabe ihrer sterblichen
Überreste hinausgezögert. Pater Simone hingegen war sofort freigegeben worden.
    Seine
Gedanken schweiften weiter ab, kehrten zu dem Gespräch mit Rabeas Großvater vor
zwei Tagen zurück, nachdem er Rabea mit dem Flugzeug seines Vaters zurück nach
Hause begleitet hatte. Nachdem er Rabeas versiegelten Sarg dem Verantwortlichen
des Beerdigungsinstituts übergeben hatte, hatte es ihn direkt zum Haus des
alten Rabbi Rosenthal gezogen - nicht nur, weil er mit ihm die Formalitäten von
Rabeas Abschiedszeremonie besprechen musste. Der kleine Hund Stellina, der
einmal der ermordeten Contessa gehört hatte, begleitete ihn. Seit Rabeas Tod
wollte ihm die kleine Shih-Tzu-Hündin nicht mehr von der Seite weichen und er
fand seltsamen Trost darin, des Nachts sein tränenfeuchtes Gesicht in ihrem
weichen Fell zu bergen.
    Mit
den Worten: „Shalom, Lukas, ich habe dich bereits erwartet“, hatte ihn der alte
Rabbi an der Tür des bescheidenen Reihenhauses am Rande der Stadt Nürnberg
begrüßt. Sein Blick fiel auf den kleinen Hund, der artig neben Lukas auf der
Eingangsstufe sa ß .
"Aha, und hier haben wir wohl die letzte arme Kreatur, die Rabea gerettet
hat. Kommt herein, alle beide." Er führte Lukas in das kleine behagliche
Wohnzimmer, das Stellina sofort schnüffelnd in Besitz nahm. Danach war der Alte
ohne ein Wort in der Küche nebenan verschwunden und von Stetten hörte ihn mit
dem Teekessel hantieren. Das Klappern war ein altvertrautes Geräusch. Früher
hatte es bei jedem seiner Besuche frischen Tee gegeben und selbstgebackene Schokoladenplätzchen.
    Es
gab dem jungen Mann die Zeit, sich einen Moment zu sammeln. Er war seit Jahren
nicht mehr hier gewesen. Doch in dem kleinen Häuschen schien die Zeit still
gestanden zu haben, auch wenn die große alte Standuhr in der Ecke neben der Tür
gegen diese Annahme zu protestieren schien und wie eh und je laut vor sich hin tickte.
Das Tick und Tack hämmerte sich durch seine Ohren und die Echos trafen
schmerzhaft auf seiner Seele auf. Wie sehr wünschte er sich, einfach aufstehen
zu können, zu der Uhr zu gehen, die großen Zeiger zu packen und die Zeit
gewaltsam zurückzudrehen. Er unterdrückte den nutzlosen Impuls mit einem tiefen
Seufzer und sah sich weiter um. Da war dieselbe braune Polstergruppe aus den
fünfziger Jahren, Lehnen und Armstützen der Couch wie auch die der beiden
Ohrensessel liebevoll mit den von Großmutter Rosenthal gehäkelten Deckchen
dekoriert. Neben der Couch stand immer noch der Wollkorb mit ihrer
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