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Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Petra Oelker
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was für eine ungewöhnliche Person! Es war höchste Zeit, einzuschreiten.
    «Ich muss um Vergebung bitten, Madam.» Er verbeugte sich, wie es sich vor einer Dame gehörte, die wirklich eine war. «Es ist meine Schuld. Ich habe mich nicht einmal vorgestellt. Unverzeihlich. Hegolt», erklärte er mit einer eleganten Verbeugung, «mein Name ist Ansgar Hegolt, ich gehöre erst seit kurzer Zeit zu den Provisoren des Waisenhauses. Ihr habt vielleicht von dem Heimgang Monsieur Meinings gehört. Völlig überraschend, ja, Gottes Wege sind wundersam. Meining war ein über die Maßen verdienstvoller Mensch, es ist eine Ehre, seinen Platz einzunehmen. Um meine Pflichten kennenzulernen, wollte ich möglichst bald eine Koststelle besuchen. Unser guter Zacher», er blickte streng auf den immer noch auf einem Stuhl hockenden alten Schreiber, schob seine Hand unter dessen Arm und zwang ihn auf die Füße, «hat sich für Euch entschieden, weil Ihr nur wenige Schritte vom Waisenhaus entfernt wohnt und weil», an dieser Stelle warf er Zacher einen noch strengeren Blick zu, «und weil Eure Behandlung unserer armen Waisen als vorbildlich gelten muss.» Er ignorierte das kräftige Schnauben an seiner Seite. «Ihn plagt nur eine Sorge», fuhr er ungerührt fort, «nämlich dass Ihr den Jungen verwöhnen könntet. Alle diese Kinder müssen auf ein selbständiges arbeitsreiches Leben vorbereitet werden, damit sie später sich und ihre Kinder ernähren können. Sie sollen lesen und schreiben lernen, rechnen besonders die Jungen, dafür sollen sich die Mädchen in Handarbeiten üben, auch in Gottesfurcht, das versteht sich von selbst. Und natürlich auch im Gewerbe des Hauses helfen, besonders die Jungen, um davon zu lernen.» Eigentlich wollte er noch hinzufügen, dass er in diesem Haus kein Gewerbe erkennen könne und sich frage, was der Junge hier außerhalb seiner Schulstunden tue. Er entschied rasch, diese Frage sei besser zu verschieben, womit er völlig recht hatte.
    «Ich halte es mehr mit Gottes liebe », versetzte Rosina Vinstedt, inzwischen eher misstrauisch als ungehalten. «Von Furcht verstehen diese Kinder schon genug.» Dieser seltsame Monsieur Hegolt schwindelte offensichtlich, doch womöglich in bester Absicht. Das reichte, um sie halbwegs zu versöhnen. «Wenn es Euch beruhigt», wandte sie sich wieder an den Waisenhausschreiber, «kommt, sooft Ihr mögt. Wir haben nichts zu verbergen, und Tobias ist ein braves Kind.»
    Das Letzte war nicht wirklich geschwindelt, es legte die Tatsachen nur großzügig aus. Für einen Jungen seines Alters und wenn man bedachte, welch harte Schule die gut zehn Jahre seines Lebens schon bedeutet hatten, war Tobias wirklich halbwegs brav. Er musste mit einer zähen Natur gesegnet sein. Das Schwindeln würde sie ihm schon noch abgewöhnen. Leider tat er es so überzeugend und mit solchem Charme, dass es ihr stets schwerfiel, eine Lüge als solche zu erkennen und die nötige Strenge walten zu lassen. Genau genommen, so fand sie, waren viele seiner Lügen gar keine, sondern Ausdruck einer ungewöhnlich bunt blühenden Phantasie. Leider waren sowohl Magnus als auch Pauline in dieser Hinsicht anderer Meinung. Immerhin hatte er noch nie gestohlen und auch keinerlei Neigung dazu gezeigt.
    «Ja», wiederholte sie nachdrücklich, «ein braves Kind. Manchmal recht temperamentvoll, auch seine Phantasie muss hier und da gezügelt werden. So sind Jungen seines Alters nun einmal. Dem werdet Ihr mit Eurer viel größeren Erfahrung sicher zustimmen, Monsieur Zacher.»
    «Unbedingt», beeilte sich Monsieur Hegolt zu versichern, als Zacher mit entschlossen vorgeschobenem Kinn beharrlich schwieg. «Unbedingt. Und nun haben wir Euch lange genug aufgehalten, ich hoffe, Ihr seht uns unseren Überfall nach, wir …»
    «Rein mit dir», tönte plötzlich eine Männerstimme aus der Diele. «Nein! Nicht loslassen! Du tropfst ja noch wie ein Eiszapfen in der Sonne. Drück das Tuch weiter fest gegen die Nase. Da seid Ihr ja, Rosina, schaut mal, was oder besser: wen ich auf der Straße aufgelesen habe. Ich dachte mir, ich liefere ihn selbst bei Euch ab, damit er sicher ankommt. In die Schule sollte er wohl erst, nachdem das Blut abgewaschen ist. Oder was denkt Ihr? Ein reines Hemd wäre auch nicht schlecht. Hat er noch eins?»
    Beim Klang der vertrauten Stimme war Rosina mit einem Satz in der Diele gewesen. Claes Herrmanns stand mit breitem Grinsen vor ihr, elegant wie immer, heute im maronenbraunen, schwarz gesäumten
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