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Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Petra Oelker
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Rock, der Dreispitz klemmte unter dem linken Arm, die rechte Hand mit dem Familienring am Mittelfinger lang auf Tobias’ Schulter, der wiederum überhaupt nicht grinste. In der linken hielt Herrmanns mit spitzen Fingern den neuen Hut des Jungen, der leider nur noch einem schlammigen Klumpen glich. Auch der Rest von Tobias’ Kleidung zeugte von gründlichem Wälzen in Schneematsch und Pferdeäpfeln. Immerhin trug er noch beide Schuhe, auch stank er nicht nach fauligem Fisch wie beim letzten Mal. Dafür verschwand sein linkes Auge gerade in einer rasch anwachsenden Schwellung. An seinen Händen klebte Blut – sie hoffte, dass es aus seiner eigenen Nase stammte.
    All das erkannte sie in zwei Sekunden, sie erschienen ihr wie eine volle Stunde. Ausgerechnet jetzt, mit dem neuen Provisor und dem alles andere als wohlgesinnten Waisenhausschreiber im Salon, wurde Tobias am Schlafittchen nach Hause gebracht, blutig, schmutzig, unverkennbar nach einer veritablen Schlägerei. Da stand er vor ihr, dieser dünne Knirps mit den O-Beinen, und blickte sie aus dem Auge, das noch gut sehen konnte, mit der ihm eigenen Mischung aus Trotz und Furcht an, die er unvermittelt zeigen konnte. Gegen seine blutende Nase hielt er ein Tuch aus allerfeinstem, spitzengesäumtem Leinen gedrückt. Hoffentlich wusste Pauline ein Wundermittel, die Blutflecken wieder auszuwaschen; das Tuch zu ersetzen würde ein dickes Loch in ihr Budget reißen.
    «Keine Sorge, Rosina», fuhr Claes Herrmanns munter fort, ihn schien die Angelegenheit ungemein zu amüsieren, «der Junge ist nur ein bisschen verbeult. Die Nase ist nicht gebrochen, sie hat nur geblutet. Die Vorderzähne sind auch noch komplett, das ist das Wichtigste. Um das Auge herum wird das Gesicht hübsch grün und blau werden, aber er wird bald wieder freie Sicht haben. Hegolt?», irritiert hoben sich seine Brauen, und sein Blick veränderte sich schlagartig. «Was tut Ihr hier? Dazu um diese Stunde?»
    Rosina schloss die Augen und faltete die Hände vor der Brust. Wie töricht zu hoffen, den beiden Männern im Salon könnte diese Szene durch ein Wunder entgehen. Es gab keine Wunder. Am wenigsten, wenn man besonders dringend eines brauchte.
    «Die Herren», sagte sie und schickte einen beschwörenden Blick zu Claes Herrmanns, «die Herren sind wieder hier, um zu prüfen, ob mit Tobias und uns alles seine Ordnung hat.»
    «Seine Ordnung, in der Tat», knurrte Zacher. Er hatte sich an dem Provisor, der in der Tür zum Salon stehen geblieben war, vorbei in die Diele gedrängt. Ein Blick auf den Jungen ließ seine Augen triumphierend aufblitzen.
    «Guten Morgen, Zacher. Jetzt verstehe ich, Hegolt. Ich hatte es fast vergessen, Ihr seid ja nun Provisor im Waisenhaus. Der arme Meining, plötzlich einfach tot, und das zwei Tage nach Fastnacht. Er hat die Maskeraden immer so geliebt und schien mir bis dahin völlig gesund. Wegen des Jungen seid Ihr hier? Tobias gibt keinen Anlass zu Bedenken, absolut keinen. Immer noch ziemlich dünn, aber ich kann bezeugen, dass er isst wie ein Scheunendrescher und auch reichlich bekommt. In diesem Haus außer körperlicher Nahrung auch geistige, was man nicht von allen Koststellen sagen kann. Ein junger Mensch braucht beides, wenn er nicht ganz dumm ist. Und dumm», Herrmanns sah wohlwollend auf den Rotschopf an seiner Seite hinunter wie auf ein interessantes Studienobjekt, «nein, dumm ist Tobias gewiss nicht. Ich würde ihn sogar als wissbegierig bezeichnen.»
    Auch Hegolt betrachtete den Jungen mit wohlwollend prüfendem Blick, und Zacher fragte mit schmalen Lippen: «Und warum, Monsieur Herrmanns, ist der Junge dann nicht in der Schule, wo er um diese Stunde hingehört, um seinen großen Wissensdurst zu stillen? Warum sieht er so aus? Wie ein – Gossenkind?»
    Rosina holte tief Luft, doch Herrmanns legte ihr beschwichtigend die Hand auf den Arm. «Er sieht aus, lieber Zacher, wie Jungen ab und zu aussehen, wenn sie keine Duckmäuser sind. Sicher seid auch Ihr zu Eurer Zeit ab und zu mit einer blutigen Nase nach Hause gekommen. Ihr hättet die anderen beiden sehen sollen. Tobias hat sich nämlich gleich gegen zwei Jungen verteidigt. Wie ein Löwe. Wer weiß, wie es seinen Kontrahenten noch ergangen wäre, hätte ich nicht eingegriffen.»
    Rosina schickte ein Stoßgebet zum Himmel, Claes Herrmanns möge endlich aufhören. Sie wusste, der Gatte ihrer besten Freundin meinte es gut, wie gewöhnlich, leider spürte er nicht, dass die ausführliche Schilderung einer
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