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Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Petra Oelker
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den Schminkutensilien lagen auch Kniehosen und Männerjoppe in der Truhe. Es musste ja nicht gleich über die Alpen und bis Venedig sein, nach Lüneburg vielleicht, dort, so hatte sie gehört, gastierte eine Komödiantengesellschaft, womöglich waren es die Becker’schen, oder …
    «Findet Ihr es nicht ziemlich aufdringlich, um diese Stunde vorzusprechen?» Die kräftige weibliche Stimme von der Diele unterbrach ihre einer konkreten Planung gefährlich nahe kommenden Gedanken. Pauline gab sich keine Mühe, ihre Empörung zu verbergen. «So früh empfängt Madam nicht. Nein», fiel sie einer leiseren, männlichen Stimme ins für Rosina unverständliche Wort, «auch keine Amtspersonen. Das wäre unschicklich. Wisst Ihr das etwa nicht? Wieso seid Ihr überhaupt schon wieder hier? Glaubt Ihr, in den paar Tagen ändert sich was? Eure Zeit möchte ich haben! Im Übrigen habe ich noch nie gehört, dass die Koststellen öfter als einmal im Jahr geprüft werden. Wenn überhaupt. Manche sehen Euch jahrelang nicht, oft gerade solche, wo es wirklich nottäte, nach dem Rechten zu sehen. Am besten, Ihr geht gleich wieder. Madam Vinstedt ist …»
    «… schon zur Stelle. Danke, Pauline.»
    Als Rosina begriffen hatte, wer zu einem so unpassenden Besuch erschienen war, war sie mit nur mühsam unterdrücktem Zorn in die Diele getreten. Nun hatte sie Mühe, ihr Amüsement zu verbergen. Pauline, dienstbarer Geist für alle Angelegenheiten im Haushalt der Vinstedts, stand mit vor der Brust verschränkten Armen, den Hals vorgereckt wie eine kampfbereite Gans, in der Mitte des bescheidenen Entrees und starrte grimmig die zwei Besucher an. Der Jüngere musterte unbehaglich die unter den aufgekrempelten Ärmeln sichtbaren kräftigen Arme Paulines. Das feine Tuch seiner Kleidung und die dezente, gleichwohl kostbare Nadel in seiner Halsbinde und der Ring an der rechten Hand verrieten einen Bürger, der von Dienstboten keinerlei ruppige Abweisung, sondern devote Höflichkeit gewöhnt war.
    Der Ältere konterte Paulines Blick mit gleicher Giftigkeit. Als Schreiber des Waisenhauses war er grobes Volk gewöhnt. Doch Rosina kannte die Sprache des Körpers und der Mienen zu gut, um sich täuschen zu lassen. Zachers hochgezogene Schultern, die auf die vorderste Nasenspitze gerutschte Brille, die den Knauf seines Gehstockes fest umklammernde rechte Faust verrieten: Wie sein Begleiter wäre dem alten Zacher nichts lieber, als auf dem Absatz kehrtzumachen. Was er sich jedoch, wie Rosina wusste, keinesfalls erlauben würde. Er gehörte zu den Männern, denen Pflichterfüllung über alles ging. Dass er die gern mit der Pflege moralinsaurer Vorurteile verwechselte, hätte er wie alle Tugendwächter entschieden bestritten.
    Paulines Empörung war gerecht, Rosina ertappte sich trotzdem bei einem Gefühl, das Mitleid sehr nahe kam.
    «Danke, Pauline», wiederholte sie in trügerischer Sanftmut. «Die Herren werden einen gewichtigen Grund für ihren frühen, unangemeldeten Besuch haben. Umso mehr, als wir erst kürzlich die Ehre der Gegenwart Monsieur Zachers hatten.»
    Der schnaubte, ob mit Genugtuung, aus Empörung oder gar aus Verlegenheit, war nicht zu deuten, und sein Begleiter errötete. Rosina kannte ihn nicht, er war offensichtlich zu zart besaitet für diesen Auftrag. Er würde noch viel lernen müssen.
    Sie führte die Besucher in ihren Salon und beobachtete aus den Augenwinkeln, wie der Waisenhausschreiber en passant seine Hand über die Rosenholzkommode gleiten ließ und missmutig die staubfrei gebliebenen Finger gegeneinanderrieb, bevor er sich auf die vorderste Kante seines Stuhls setzte.
    «Ja, Madam», begann er, während sich sein kurzsichtiger Blick noch prüfend durch das Zimmer tastete, «zu meinem tiefsten Bedauern müssen Monsieur Hegolt und ich, ja, wir beide, schon wieder bei Euch vorsprechen. Tatsächlich, ja, bedauerlicherweise. Es ist kostbare Zeit, die anderen Tätigkeiten vorbehalten sein sollte. Gleichwohl …»
    «Wie recht Ihr habt, auch meine Zeit ist kostbar.» Rosinas süßes Lächeln erinnerte an einen Ozelot kurz vor dem Sprung auf seine Beute. «Womit kann ich Euch und dem Waisenhaus heute dienen? Sicher wollt Ihr nicht schon wieder prüfen, ob Tobias wohlauf ist und gut behandelt wird. Das habt Ihr erst in der vorletzten Woche getan und nichts zu beanstanden gefunden.»
    «Nichts zu beanstanden, nun, das ist wahr. Es ist unsere Pflicht, für die unserer Obhut anvertrauten Kinder gute Sorge zu tragen, Madam; da Ihr
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