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Die schwarze Kathedrale

Die schwarze Kathedrale

Titel: Die schwarze Kathedrale
Autoren: Charles Palliser
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geheimnisumwobene Zeit und ihre wichtigsten Protagonisten außerordentlich lebendig, vielleicht ebenfalls mit etwas mehr Phantasie als wissenschaftlicher Strenge. Nach der Vorlesung sprach ich ihn an und sagte ihm, wie gut mir sein Vortrag gefallen habe. Als ich ihm erzählte, daß ich in Thurchester in die Schule gegangen war, lud er mich spontan zum Tee in sein Arbeitszimmer ein.
    Ich brachte das Gespräch auf den Fall Stonex, aber er erklärte sofort, daß er sich dazu nicht äußern wolle. Dann erwähnte ich Austin Fickling und sprach in der Vergangenheit von ihm. Als er mich nach dem Grund fragte, ließ ich ihn wissen, daß ich gerade traurige Neuigkeiten über ihn gelesen hatte, und zeigte ihm den Zeitungsausschnitt, den ich aus der »Thurchester Clarion« ausgeschnitten hatte. Darin wurde berichtet, daß Fickling nach langem Leiden in Rom verstorben sei. Der Journalist erging sich ausführlich über den Fall Stonex und erwähnte nebenbei, daß der irische Schauspieler – mit Künstlernamen Valentin Butler, er hatte sich aber auch Valentine Ormonde genannt – bereits viele Jahre vor dem Mord gestorben sei.
    Es war nicht zu übersehen, daß Professor Courtine über den Artikel entsetzt war. Ich gab vor zu glauben, daß es der Tod seines alten Freundes sei, der ihn so erschütterte, wußte aber, daß dies nicht der einzige Grund war. Im Anschluß an unser Gespräch muß er die Notiz auf die Außenseite des Umschlags mit seinem Bericht geschrieben haben, in der er erklärte, daß er sich bezüglich des Schauspielers geirrt habe. Denn wegen des in dem Zeitungsartikel genannten Sterbedatums mußte Professor Courtine eingesehen haben, daß es ein Trugschluß gewesen war anzunehmen, daß die Person, die bei der Einladung zum Tee die Rolle des Mr. Stonex gespielt hatte, dessen Schwager gewesen sei. Er hatte gedacht, daß diese Beziehung der Grund für den Versprecher bei der sonst so perfekten Vorstellung gewesen sei. Nachdem er nun wußte, daß dies unmöglich war, mußte er sich gefragt haben, wer sich denn dann für Mr. Stonex ausgegeben hatte. Er hatte also recht gehabt mit seiner Feststellung, daß dem vermeintlichen Mr. Stonex ein sehr verräterischer Versprecher unterlaufen war, doch hatte er seine Bedeutung nicht durchschaut.
    Als ich mich verabschiedete, war Professor Courtine so freundlich, mich aufzufordern, einmal zum Tee zu ihm zu kommen, um seine Frau und seine Kinder – eigentlich seine Stiefkinder – kennenzulernen.
    Den Tag, an dem der Mord verübt wurde, verbrachte ich in großer Angst, weil der Chorleiter an diesem Morgen bei der Probe angekündigt hatte, daß die Orgel vom nächsten Tag an für mindestens zwei Wochen außer Betrieb sein würde und daß wir an Stelle des Orgelspiels beim Hauptgottesdienst am Weihnachtstag Choräle a capella singen würden. Ich sollte einer der Solisten sein! Er gab mir die Partitur des Solos, das ich am Nachmittag bei der Chorprobe singen sollte – die Partitur, die der Courtenay-Schüler nur wenige Minuten später in den Schmutz warf und zerriß. Das verhaßte Notenblatt würde mich nun in noch größere Schwierigkeiten bringen, denn der Chorleiter wurde immer furchtbar wütend, wenn wir Partituren beschädigten oder verloren. Ich war überzeugt, daß er mich nur deshalb für ein Solo ausgewählt hatte, weil er mich blamieren wollte. Um wieviel größer würde sein Vergnügen sein, wenn ich ihm die Partitur in diesem Zustand zeigen mußte und er einen Grund hätte, mich noch härter zu schlagen, als er es gewöhnlich zu tun pflegte. Den restlichen Schultag verbrachte ich damit, mich vor der Schande und Demütigung zu fürchten, die mir beim Abendgottesdienst bevorstanden.
    Ich war jedoch nicht der einzige, der durch die Entscheidung, die Orgel von Donnerstag abend an zu sperren, in Panik versetzt wurde. Wie aus Dr. Courtines Bericht hervorgeht, wurden auch die Pläne der Verschwörer durch die Verschiebung der Einweihungsfeier für die restaurierte Orgel durchkreuzt.
    Obwohl Miss Napiers Buch einige überraschende Tatsachen bezüglich der Identität der Mörder und ihrer Motive ans Licht brachte und die Autorin eine Theorie formulierte, die sich nur als brillant bezeichnen läßt, wurde sie doch durch gesetzliche Beschränkungen behindert, da nicht sicherstand, ob nicht einige der Personen, von denen in dem Buch die Rede war, noch am Leben waren. Inzwischen wußte sie natürlich, daß Austin Fickling tot war, die alte Dame mit annähernd neunzig Jahren aber
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