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Die Schule der Nacht

Die Schule der Nacht

Titel: Die Schule der Nacht
Autoren: James Mia
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– wir wohnen hier nur ein paar U-Bahn-Stationen vom Piccadilly Circus entfernt!«
    Elf – um genau zu sein , dachte April finster. Als ihr Vater angekündigt hatte, dass sie nach Highgate in Nordlondon ziehen würden, hatte sie sich die Umgebung auf dem Stadtplan genau angesehen und sämtliche Fluchtwege ausgekundschaftet. Natürlich war ihr klar, dass ihr Vater einen neuen Job brauchte, nachdem er seine Stelle als Redakteur beim Scotsman verloren hatte, aber warum mussten sie dazu aus Edinburgh wegziehen, wo sie all ihre Freunde hatte? April war zwar gebürtige Engländerin, hatte aber ihre gesamte Teenagerzeit in Edinburgh verbracht. Zum Süden Englands hatte sie keinerlei Bezug, und diesem düster wirkenden Teil Londons würde sie nicht das Geringste abgewinnen können, da war sie sich jetzt schon sicher. Am meisten ärgerte sie, dass sie gerade erst einen Platz an der Leith School of Art bekommen hatte, einer weiterführenden Schule mit Schwerpunkt Kunst, die in einem superschönen modernen Neubau untergebracht war, an der man keine Schuluniform tragen musste und wo sie sicher haufenweise coole Jungs kennengelernt hätte. Ältere Jungs, die schon eigene Autos hatten und sie nicht alselfjährige Bohnenstange mit Zahnspange gekannt hatten. Tja, daraus würde jetzt nichts werden. April hatte alles versucht, um ihre Eltern dazu zu überreden, ohne sie nach England zu ziehen – sie hätte bei ihrer besten Freundin Fiona oder bei Freunden ihrer Eltern wohnen können, ja, sie hätte sich sogar bereit erklärt, aufs Internat zu gehen –, aber alle ihre Vorschläge waren mit der Begründung abgeschmettert worden, dass sie sie auf gar keinen Fall alleine lassen würden. Stattdessen hatte sie an ihrer alten Schule ausharren müssen, bis alles für den Umzug vorbereitet war, und wurde jetzt in irgendeinen bonzigen Rentnervorort Londons gekarrt, wo sie eine Million Lichtjahre von allem entfernt sein würde, das sie kannte. Und das Schlimmste war, dass sie mitten im Schuljahr wechseln musste: Ihre Rolle als Außenseiterin war damit sozusagen schon vorprogrammiert. April zuckte zusammen, als ihre Mutter die Puderdose zuschnappen ließ und rief: »Da wären wir!«
    Ihrer Mutter – Silvia , wie April sie in Gedanken nannte, um wenigstens für sich so tun zu können, als wäre sie in Wirklichkeit gar nicht ihre Mutter – hatte es zwar gefallen, dass ihr Mann in Edinburgh in den besten Kreisen verkehrt hatte und sie beide dadurch ständig auf elegante Dinnerpartys eingeladen worden waren, aber die Stadt Edinburgh selbst mit ihren düsteren Granitbauten und dem rauen Klima hatte sie immer gehasst. Sie war in den Londoner Stadtteilen Belgravia und Covent Garden aufgewachsen und behauptete gern scherzhaft, sie würde sofort Nasenbluten bekommen, sobald sie sich nördlicher als Hampstead von der Hauptstadt entfernte. Aber sosehr sie auch darunter gelitten hatte, in der Provinz festsitzen zu müssen, der plötzliche Statusverlust ihres Mannes machte ihr noch viel schwerer zu schaffen. Seit er ihr mitgeteilt hatte, dass er seinen Redakteursposten verlieren würde, aber bereits eine neue Stelle bei der Lokalzeitung von Hampstead in Aussicht hätte, hatte sie ihm das Leben schwer gemacht. Oder besser gesagt: noch schwerer als sonst. April konnte sich nicht erinnern, dass es je eine Zeit gegeben hätte, in der ihre Mutter ihrem Vater nicht die Hölle heißgemacht hatte. Aber diesmal war es besonders schlimm. In den Augen ihrer Mutter war der neue Job ihres Mannes ein »gravierender Rückschritt« und »völlig unter seiner Würde«. Silvia war der Meinung, er hätte zumindest versuchen sollen, sich für einen Redakteursposten bei einer der renommierten überregionalen Zeitungen wie dem Telegraph oder der Times zu bewerben. »Soll ich den Leuten vielleicht erzählen, dass du deine Tage damit verbringst, über die Wohltätigkeitsbälle irgendwelcher Kleingärtnerverbände zu berichten?«, hatte sie ihm bei einem ihrer vielen Streits verächtlich an den Kopf geworfen. Dabei hatte April eigentlich gehofft, dass der Umzug nach London – in die pulsierende Großstadt – wenigstens ein Gutes haben und ihre Mutter etwas sanfter stimmen würde.
    Natürlich war sie auch enttäuscht gewesen, als ihr Vater seine Stelle verloren hatte. Sie war immer stolz darauf gewesen, dass er Journalist war, während die Eltern ihrer Freunde alle langweilige Jobs in der IT - oder Finanzbranche hatten. Außerdem hatte sein Beruf einige Vergünstigungen mit
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