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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen
Autoren: Miklós Bánffy
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und machte den vierschrötigen Mann überaus einnehmend. Alle mochten ihn, viele Frauen schwärmten für ihn. So war es kein Wunder, dass Ende der neunziger Jahre, als Bálint in Klausenburg die Universität bezog, die Jugend in »Onkel Ambrus« ihren Anführer erblickte.
    Alle strebten ihm nach. Als ein männlicher Mann galt nur, wer so sprach wie sein Vorbild, wer schön zu fluchen verstand und rohe Worte so saftig herausbrachte. Wer hingegen einen höflichen Ton gebrauchte, wurde als affektierter Geck und als Waschlappen taxiert.
    Ambrus war auch in anderen Dingen führend. Er stand im Ruf eines großen Zechers. Obwohl schon längst verheiratet und Vater von drei Söhnen und vier Töchtern, liebte er die Kneiperei. Er trank viel und oft. Er vertrug aber den Alkohol gut, und wenn er nach Klausenburg kam – und er hielt sich in der Stadt häufig länger auf –, dann gehörten Nacht für Nacht die Zigeunerkapelle, ein großes »Trinkum« und ein Gelage dazu. Die jungen Leute hielten natürlich in allem mit.
    Bálint erinnerte sich jetzt beim Anblick von Onkel Ambrus lebhaft, wie sehr ihn die damals beliebte, unablässige Zecherei überrascht hatte. Auch er war der Verlockung bald erlegen, obwohl sie ihm eigentlich nicht zusagte.
    Wäre er später und nicht gar so jung, im Alter von kaum achtzehn Jahren, und nicht gleich nach dem Austritt aus dem geschlossenen Internat in diese ewig vergnügungssüchtige Umgebung hineingeraten, dann hätte er vielleicht gegen den Strom schwimmen können; so aber riss es ihn mit, ebenso wie László Gyerőffy.
    So aber hatte er nicht anders zu handeln vermocht. Dies umso weniger, als sie beide von den anderen – obwohl sie mit den meisten verwandt waren – irgendwie doch als Fremde, als Zugereiste behandelt wurden. Jenen, die dort gemeinsam aufgewachsen waren, wurde es im Umgang mit ihnen nicht recht warm, sie standen mit den beiden nicht auf gleich vertraulich freundschaftlichem Fuß wie untereinander. Nichts, was man fassen und zur Sprache hätte bringen können, nichts zeigte diese Zurückhaltung und verborgene Abneigung, und doch waren sie ständig da, in tausend Kleinigkeiten beim täglichen Zusammentreffen. Selten nur kam es vor, dass jemand mit benebeltem Kopf irgendeine Anspielung machte, etwa von solcher Art: »Na ja, wenn man Wiener Verhältnisse gewohnt ist!« oder: »Für jemanden aus Ungarn ist das natürlich anders!« Das war aber alles.
    László Gyerőffy gegenüber legte sich die Stimmung schon bald. Ihm gereichte in diesem Kreis zum großen Vorteil, dass er hervorragend Violine spielte und sich in seinen Gymnasiastenjahren auch an anderen Instrumenten versucht hatte. Schon nach einigen Wochen schaffte er es, abwechselnd mit dem Primas der Kapelle zigeunerisch aufzuspielen, und bei anderer Gelegenheit blies er die Schnabelflöte oder die Klarinette. Die Stimmung milderte sich, wich aber nie gänzlich.
    Bálint gegenüber jedoch änderte sich die versteckte Abneigung in keiner Weise. Vielleicht lag das daran, dass er es nie schaffte, sich richtig, bis zur Selbstvergessenheit zu betrinken. So viel er auch trank, war er sich immer bewusst, was er sagte und tat und was andere taten. Er vermochte sich nicht zu befreien von dem richtenden Kritiker, den er in sich trug und der, zutiefst verborgen, ihn wach und höhnisch beobachtete. Als er hemdsärmelig vor den Zigeunern tanzte, Jauchzer ausstieß oder sang, da sagte dieser Richter: »Du bist ein Heuchler, mein Sohn, warum lässt du aus dir einen Narren machen?«
    Und doch ging er noch lange diesen Weg. Er wollte sich einen Platz in der Nähe seiner Altersgenossen sichern, hoffte ständig, dass sie ihn unter sich aufnehmen und endlich seine Fremdheit vergessen würden. So versuchte er viel zu trinken, sich mit ihnen oft zu vergnügen. Auch er machte also vor dem Zertrümmern nicht halt und ging bis zu der äußersten Grenze, die für ihn jener nie schlummernde innere Überwacher bestimmte.
    Er versuchte auf diese Weise, sich unter seine Altersgenossen einzureihen, die abschätzig jeden für einen Hasenfuß hielten, der nicht oder nur mit Maß trank, der nicht verrückt wurde vor Entzücken, wenn eine Zigeunerkapelle aufspielte, der die Texte der ungarischen Lieder nicht alle kannte, kein Leiblied hatte, bei dessen Erklingen man entweder den Kopf auf den Tisch legen oder wenn schon nicht Stuhlbeine und Spiegel, so doch zumindest Gläser zerschlagen musste. Onkel Ambrus machte es so, folglich taten es ihm alle nach, und wer
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