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Die Schrift an der Wand

Die Schrift an der Wand

Titel: Die Schrift an der Wand
Autoren: Gunnar Staalesen
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verstohlen in
meine Richtung, als überlegte er, ob ich ein getarnter Verhütungsmittel-Vertreter sei, der sich mit den Taschen voller
Gratisproben auf das Schulgrundstück geschlichen hatte, um
ungehindert eine Kampagne gegen die jungen, schutzlosen
Seelen zu starten.
Es klopfte, die Tür zum Korridor ging auf, und mit neugierigem Gesichtsausdruck kam Åsa herein. Als sie mich erkannte,
konnte sie ihre Enttäuschung nicht verbergen.
»Hallo, Åsa!« sagte ich gekünstelt locker als der Sozialarbeiter, der ich nun einmal war.
Sie sah zu dem Lehrer in der Ecke, als hoffte sie, er könnte sie
aus der unangenehmen Situation retten.
»Ich dachte … Es gibt vielleicht ein paar Dinge, über die du
leichter reden kannst, wenn deine Eltern nicht dabei sind.«
»Oh?«
»Komm hier herein, dann setzen wir uns …«
»Kann ich mich nicht weigern?«
Ich wartete ein wenig mit der Antwort. »Welchen Grund
solltest du dafür haben?«
Sie sah weg. »Na ja, ich …«
»Hast du etwa was zu verbergen?«
»Was sollte das sein?«
»Keine Ahnung. Gäbe es sonst einen Grund, nicht auf meine
Fragen zu antworten?«
Sie ließ sich auf den Stuhl fallen und blieb in einer lässigen,
halb abgewandten Stellung sitzen, die ihrem Rücken auf die
Dauer sicher kaum gutgetan hätte.
»Ich denke an – wonach ich dich gestern gefragt habe. Mit mir
kannst du ganz offen sprechen, Åsa. Ich werde deinen Eltern
kein Wort erzählen. Alles, was ich brauche, sind ein paar
Informationen, die mir dabei helfen können, herauszufinden, wo
Torild abgeblieben ist.«
Sie sah mich feindselig an. »Na gut!«
»Also … Wann hast du sie zuletzt gesehen?«
Sie war überrumpelt. »Wann ich sie zuletzt gesehen habe? Das
war an dem Tag, als wir … Sie …«
»Ja?«
»Am Tag bevor sie verschwand.«
»Mittwoch letzter Woche?«
»Ja, dann war es wohl Mittwoch!«
»Wo hast du sie gesehen?«
»Wo? Was meinen Sie?«
»Na, dann laß es mich anders ausdrücken. Was habt ihr gemacht?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Wir sind in die Stadt gefahren.
Rumgelaufen, wie immer.«
»Ja, erinnerst du dich, wo ihr wart?«
»Äh, nee … wir sind einfach nur so rumgelaufen.«
»Ihr wart nicht im Kino?«
»Nein.«
»Irgendwo ’ne Cola trinken?«
»Nein, ich glaub nicht.«
»Wenn ihr ’ne Cola getrunken hättet, wo könnte das dann
gewesen sein?«
»Ahm … Burger King … Oder ’ne andere Snackbar.«
»Aber das weißt du also nicht mehr?«
»Nein.«
»Wart ihr zu zweit oder waren noch andere dabei?«
»Noch andere.«
»Und wer?«
»Äh …«
»War Astrid dabei?«
»Astrid Nikolaisen?«
»Ja?«
»Vielleicht.«
»Wart ihr oft mit ihr zusammen?«
»Oft zusammen? Warum wollen Sie das wissen? Hat Helene
was gesagt?«
»Was sollte sie gesagt haben?«
»Na ja …«
»Weißt du, warum Astrid heute nicht in der Schule ist?«
Sie grinste plötzlich. »Es ist nicht das erste Mal.«
»Wie – nicht das erste Mal?«
»Sie kommt in die Schule, wenn sie Bock hat.«
»Aha. Ich verstehe.«
»Nee, tun Sie nicht!«
»Ach nein? Und was verstehe ich deiner Meinung nach
nicht?«
Sie sah mich trotzig an, ohne zu antworten.
»Seid ihr zusammen nach Hause gefahren? Du und Torild,
meine ich.«
»Nein, wir – Ich bin früher zurückgefahren.«
»Solltest du zu einer bestimmten Zeit zu Hause sein?«
»Ja. Halb elf.«
»Und was hat sie dann gemacht?«
»Das weiß … Ich kann mich nicht erinnern.«
»Nein?«
»Nein!«
»Und du bist sicher, daß das am Mittwoch war, und nicht am
Donnerstag?«
»Ja, ich glaube schon«, sagte sie und blickte zur Seite.
Ich fing an einem anderen Ende an. »Das mit dieser Lederjacke, die dein Vater –«
»Ja, was soll damit sein?«
»Hattest du die … gestohlen?«
Ihr Blick flackerte, und sie bewegte stumm die Lippen, als
übte sie im stillen an einer Antwort, bevor sie sie herausließ.
Schließlich sagte sie nur: »Ja.«
»Habt ihr das öfter gemacht?«
»Nein! Jedenfalls nicht so teure Sachen.«
»Nur so’n bißchen Kleinkramklauerei?«
»Tun das nicht alle?«
»Tun sie das?«
»Meine Güte, sind Sie blöd! Wenn Sie hören würden –«
»Was passierte zu Hause?«
»Na ja … Ich war so dumm, sie mit nach Hause zu nehmen.
Ich hätte sie ja …«
»… zurücklassen können?«
»Ja!«
»Und wo?«
Sie antwortete nicht.
»Okay. Deine Eltern haben es also gemerkt. Und dann?«
Sie zögerte. »Mein Vater … Er wurde wütend. Sagte, ich
sollte sie zurückgeben, daß wir runter in den Laden gehen
müßten und erzählen, was ich gemacht hatte, und dann … Na ja,
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