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Die schöne Kunst des Mordens

Titel: Die schöne Kunst des Mordens
Autoren: Jeff Lindsay
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schlimmsten Hustenanfall auslöste, den ich je erlebt habe, so würgend und trocken, dass erneut sämtliche Lichter erloschen.
    Als ich wieder atmen konnte, schlug ich die Augen auf und erblickte Cody neben Astor auf dem Boden, auf der anderen Seite der Ausstellungsfläche hinter der Tischsäge, und über ihnen stand Weiss, den Schraubenzieher in der einen und die Kamera in der anderen Hand. Astors Bein zuckte, doch abgesehen davon regten sie sich nicht. Weiss trat einen Schritt vor und hob den Schraubenzieher.
    Ich rappelte mich benommen hoch, um ihn aufzuhalten, in dem Bewusstsein, dass ich es niemals rechtzeitig bis zu ihm schaffen würde, und ich spürte, wie bei dem Gedanken an meine Hilflosigkeit die Dunkelheit aus mir herausströmte und Lachen um meine Schuhe bildete.
    Doch in allerletzter Sekunde, als Weiss höhnisch über den kleinen, reglosen Körpern der Kinder stand und Dexter mit grauenhafter Langsamkeit vorantaumelte, stolperte Rita ins Bild – die Hände nach wie vor gefesselt, noch immer mit einem Knebel im Mund, doch schnell genug, um sich mit voller Wucht auf Weiss zu stürzen und ihn mit einem tödlichen Hüftschlag zu treffen, der ihn zur Seite taumeln ließ, weg von den Kindern, direkt auf den Sägetisch. Als er sich schwankend wieder aufrichtete, stieß sie ihn erneut, und diesmal stolperte er und stürzte, wobei der Arm, der die Kamera hielt, schützend nach vorn wirbelte, um ihn vor einem Sturz in das kreisende Sägeblatt zu bewahren. Und er hätte es fast geschafft – fast.
    Weiss’ Hand schlug hinter der Säge auf den Tisch auf, doch die Wucht seines Sturzes riss sein gesamtes Gewicht nach unten, und mit einem Knirschen explodierte roter Dunst in die Luft, als Weiss’ Unterarm, dessen Hand noch immer die Kamera umklammerte, abgetrennt wurde und auf die Modellbahngleise am Rand der Menge fiel. Die Zuschauer keuchten, und Weiss richtete sich langsam auf, während er seinen Armstumpf anstarrte, aus dem das Blut schoss. Er blickte mich an und versuchte, etwas zu sagen, schüttelte den Kopf und trat auf mich zu, musterte wieder seinen spritzenden Stumpf und machte einen weiteren Schritt. Doch dann, fast als stiege er unsichtbare Stufen hinab, ging er langsam in die Knie und kauerte dort schwankend, nur ein kleines Stück von mir entfernt.
    Und ich, paralysiert von meinem Kampf mit der Schlinge und meiner Angst um die Kinder und in erster Linie vom Anblick dieses nassen, ekligen, seimigen, grauenhaften Blutes, das auf den Boden strömte – ich stand einfach da, als Weiss ein letztes Mal den Blick zu mir erhob.
    Wieder bewegten sich seine Lippen, doch nichts drang heraus, und er schüttelte langsam den Kopf, behutsam, als hätte er Angst, auch dieser könnte zu Boden fallen. Mit übertriebener Sorge blickte er mir direkt in die Augen und sagte ganz bedächtig und deutlich: »Schieß viele Fotos.«
    Und er lächelte ein schwaches, sehr fahles Lächeln und sackte mit dem Gesicht voran in sein Blut.
    Als er fiel, trat ich einen Schritt zurück und blickte hoch; auf dem Bildschirm schnaufte die Modellbahn voran und krachte gegen die Kamera, die noch immer von der Hand des abgetrennten Arms umklammert wurde. Die Räder drehten einen Moment durch, dann kippte der Zug um.
    »Brillant«, befand die modische ältere Dame vorn in der Menge. »Absolut brillant.«

Epilog
    D ie Rettungssanitäter in Miami sind außerordentlich gut, nicht zuletzt, weil sie so viel Übung haben. Doch leider gelang es ihnen nicht, Weiss zu retten. Er war beinahe ausgeblutet, als sie endlich bei ihm eintrafen, und auf Drängen der panischen Rita verbrachten sie kritische zwei Minuten mit der Begutachtung von Cody und Astor, während Weiss den langen, düsteren Hang in die Annalen der Kunstgeschichte hinunterglitt.
    Rita schwebte ängstlich um sie herum, während die Rettungssanitäter Cody und Astor dazu brachten, sich aufzusetzen und umzusehen. Cody zwinkerte und versuchte, seinen Schraubenzieher zu ergreifen, und Astor beschwerte sich umgehend darüber, wie vergammelt das Riechsalz roch, weshalb ich ziemlich sicher war, dass ihnen nichts wirklich Schlimmes fehlte. Sie hatten jedoch mit ziemlicher Sicherheit leichte Gehirnerschütterungen, was in mir ein warmes Gefühl familiärer Verbundenheit auslöste; so jung, und schon traten sie in meine Fußstapfen. Die beiden wurden für vierundzwanzig Stunden zur Beobachtung ins Krankenhaus geschickt, »nur zur Sicherheit«. Rita begleitete sie selbstverständlich, um sie vor den
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