Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schattensurfer (German Edition)

Die Schattensurfer (German Edition)

Titel: Die Schattensurfer (German Edition)
Autoren: Hubert Wiest
Vom Netzwerk:
nicht die kleinste Chance gegeben. Die Monitorscheibe glänzte matt.
    Luan stürzte auf sein Bett. Er heulte und schrie. Er packte sein Kissen und donnerte es gegen die Wand. Immer wieder, bis es platzte und Schaumperlen durch das Zimmer rieselten.
    Ohne Kristallfeier konnte er vergessen, jemals Programmierer zu werden. Er dürfte nicht einmal einen Computer besitzen und sein ceeBand würden sie ihm abnehmen. Wer es bis zum 17. Geburtstag nicht geschafft hatte, die Kristallprüfung abzulegen, dem wurde der Zugang zu Computern für immer verboten. Dessen Gedanken störten den Geist der Gemeinschaft. Sie waren verdorben wie Müll, hatte er in der Schule gelernt.
    Er konnte nicht bei den Häppy Kidz bleiben und abwarten, bis sein 17. Geburtstag ohne Kristallprüfung verstrich. Er musste weg hier, verschwinden. Heute noch. Ein Bekannter hatte einmal erzählt, dass es im Lunapark immer eine Möglichkeit gäbe unterzutauchen. Niemand fragte im Lunapark so genau nach, wenn es darum ging, Fahrgeschäfte zu reinigen oder in den riesigen Kantinen Kartoffeln zu frittieren. Der Lunapark war sein Strohhalm. Dorthin würde er fliehen und Luan fasste einen Plan.
    Als würde er schlafen gehen, schlüpfte Luan aus seiner Hose. Ordentlich gefaltet legte er sie über den Stuhl, wie jeden Abend. Dann stieg er in sein Bett und zog die Decke über den Kopf, so wie er es immer tat, wenn er schlief. Er wartete ein paar Minuten, dann wälzte er sich zur Seite, hin und her, wie jede Nacht. Er schnarchte. Es sollte so aussehen als würde er schlafen. Währenddessen rief er unter der Decke von seinem ceeBand die exakte Uhrzeit ab: 18:35.
    Luan stellte mit seinem ceeBand eine Verbindung zum Überwachungscomputer der Häppy Kidz her. Nach dem dritten Versuch knackte sein ceeBand das Passwort und Luan war drinnen. Er wählte die Überwachungskamera seines Zimmers aus. Nun musste er nur noch die Liveaufnahme beenden und stattdessen die Aufzeichnung von 18:32 bis 18:35 abspielen. Immer wieder, in einer Endlosschleife. Die Wachmannschaft würde Luan in seinem Bett sehen, wie er schlief und sich hin und her wälzte. Frühestens morgen würde es auffallen, wenn er nicht aufstand. Und dann wäre er längst im Lunapark untergetaucht.
    Luan kletterte aus dem Bett und zog sich an. Er ging zum Fenster. Fingerdicke Stahlbolzen verriegelten es von außen. Mit Gewalt ließ sich da nichts machen. Luan setzte einen starken Elektronikmagneten von innen gegen die Scheibe, konzentrierte die Magnetleistung auf die Stahlbolzen und schob sie wie von Geisterhand zu Seite. Jetzt ließ sich das Fenster ohne Widerstand öffnen.
    Luan sprang aus dem Fenster. Er ließ sich von den riesigen Blättern der Bananenstaude auffangen und glitt hinunter auf den weichen Boden. Nervös suchte er den Park von Häppy Kidz ab. Da war niemand. Sie saßen alle beim Abendessen. Es war genau der richtige Moment. Luan sprang auf und jagte im Zickzack durch den Park. Er wusste, wo er den Überwachungskameras verborgen blieb. Sein ceeBand zeigte ihm den Weg bis zum Tor.
    Am Eingang stand Frau Bertowas Scooter. Es war ein burgunderroter Zweisitzer. Die Polster waren mit braunem Samt bezogen und der vergoldete Bersolantrieb glitzerte im Straßenlicht. Den Code könnte er lässig knacken. Diebstahl, schoss es Luan durch den Kopf. Dann hätte die Bertowa vielleicht doch recht gehabt, ihn von der Kristallfeier auszuschließen. Nein, den Gefallen würde er ihr nicht tun.
    Er atmete ganz tief durch. Sein ceeBand zeigte den Fußweg zum Lunapark an. Er würde 57 Minuten und 12 Sekunden brauchen.

3 IM LUNAPARK
    Sansibar ließ die Verschlüsse ihrer Schuhe zuschnappen und warf ihre Tasche über die Schulter. Vor dem Spiegel zupfte sie ein paar lila Haarsträhnen zurecht, die zwischen ihren glatten haselnussbraunen Haaren hervorleuchteten. Sie achtete peinlich genau darauf, dass ihre Haare das linke Ohr bedeckten. Sansibar mochte es nicht, wenn man ihr Ohrläppchen sah, denn das war unten so komisch eingekerbt. Als kleines Kind hatte sie einen Unfall gehabt. Papa hatte es ihr erzählt. Sie selbst konnte sich nicht mehr daran erinnern. Sansibar war beim Spielen mit dem Ohrring an der Schraube eines Klettergerüsts hängen geblieben. Sie hatte es nicht gemerkt und war in den Sand gesprungen. Dabei war der Ohrring herausgerissen. Es musste ziemlich wehgetan haben, vielleicht waren deshalb ihre Erinnerungen daran verschwunden. Den zweiten goldenen Ohrring trug sie immer noch am rechten Ohr.
    Sansibar strich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher