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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
Autoren: Ken Follett
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Kraft geführt worden, dass die Klinge mit Wucht auf den gepflasterten Boden traf und dort in zwei Teile zersprang. Der Ritter ließ den Stumpf fallen.
    Ein dritter Ritter verstieg sich nun zu einer Tat von furchtbarer Grausamkeit, die Philip bis an sein Lebensende verfolgen sollte. Er bohrte die Spitze seines Schwertes in den offenen Schädel des Erzbischofs, bis das Gehirn auf den Boden spritzte. Dann sagte er: »Der steht nicht mehr auf. Hauen wir ab!«
    Die Mörder machten auf dem Absatz kehrt und rannten davon.
    Philip sah, wie sie, wild mit den Schwertern fuchtelnd, die Menge im Hauptschiff auseinandertrieben.
    Nachdem sie die Kirche verlassen hatten, herrschte einen Augenblick gelähmtes Schweigen. Die Leiche des Erzbischofs lag auf dem Boden, die abgetrennte Schädeldecke mitsamt den Haaren wie ein abgefallener Deckel neben dem Kopf. Philip barg sein Gesicht in den Händen. Das war das Ende aller Hoffnung. Die Barbaren haben gewonnen, schoss es ihm ein ums andere Mal durch den Kopf, die Barbaren haben gewonnen … Ihn schwindelte. Es war ihm, als sinke er langsam hinab in einen tiefen See, als ertrinke er in Verzweiflung. Es gab nichts mehr, woran man sich halten konnte. Alles, was bisher fest und unverrückbar erschienen war, verlor auf einmal seine Konturen.
    Sein ganzes Leben war gezeichnet vom ständigen Kampf gegen die Willkür und Machtbesessenheit böser Menschen. Und nun hatte er die letzte Schlacht verloren. Er musste daran denken, wie William Hamleigh einst gekommen war, Kingsbridge ein zweites Mal in Brand zu stecken, und wie die Bewohner der Stadt in einem einzigen Tag eine Mauer erbaut hatten. Welch glorreicher Sieg das gewesen war! Die friedliche Kraft Hunderter von einfachen Leuten hatte die nackte Grausamkeit des Grafen William bezwungen. Auch an die Zeit, da Waleran Bigod versucht hatte, die Kathedrale in Shiring zu errichten, musste Philip jetzt denken. Er hatte die Bevölkerung zu Hilfe gerufen, und so waren an jenem denkwürdigen Pfingstsonntag vor nunmehr dreiunddreißig Jahren Hunderte von Menschen nach Kingsbridge geströmt und hatten mit der bloßen Kraft ihres Arbeitseifers Walerans Bestrebungen zunichte gemacht. Doch nun gab es keine Hoffnung mehr. Niemand in Canterbury, ja niemand in der gesamten Christenheit war imstande, Erzbischof Thomas Becket wieder zum Leben zu erwecken.
    Kniend auf den Fliesen des nördlichen Querhauses der Kathedrale von Canterbury, erschienen ihm wieder die Männer, die vor sechsundfünfzig Jahren in sein Elternhaus eingedrungen waren und Mutter und Vater vor seinen Augen niedergemetzelt hatten. Und das Gefühl, das ihm aus dieser Erinnerung des sechsjährigen Knaben zuwuchs, war nicht Angst, nicht einmal Trauer, sondern Wut. Unfähig, den riesigen, rotgesichtigen, blutrünstigen Männern Einhalt zu gebieten, hatte er einen brennenden Ehrgeiz entwickelt, all diesen Schwertträgern ihr Handwerk zu legen. Ihre Schwerter wollte er stumpf machen, ihre Schlachtrösser zum Lahmen bringen und sie alle dazu zwingen, sich einer höheren Macht zu beugen – einer Macht, die stärker war als das Königreich der Gewalt … Nach wenigen Augenblicken – seine Eltern lagen tot auf dem Boden – war Abt Peter auf der Walstatt erschienen und hatte ihm den Weg gewiesen. Ohne Waffen und ohne Rüstung hatte er das Blutvergießen beendet, allein kraft seiner Güte und der Autorität seiner Kirche. Dieses Bild hatte Philip sein ganzes Leben lang beeinflusst und geleitet.
    Bisher hatte er geglaubt, er und seinesgleichen könnten den Sieg davontragen. Sie hatten im zurückliegenden halben Jahrhundert auch einige bemerkenswerte Erfolge errungen, doch nun, da sich sein Leben dem Ende zuneigte, war seinen Feinden der Beweis gelungen, dass alles beim Alten geblieben war. Philips Triumphe waren nur von begrenzter Dauer gewesen, der Fortschritt erwies sich als Hirngespinst. Die Lage war aussichtslos, die paar gewonnenen Schlachten zählten nicht mehr. Männer vom Schlage jener Barbaren, denen einst seine Eltern zum Opfer gefallen waren, hatten einen Erzbischof in seiner Kathedrale ermordet, ganz als wollten sie über jeden Zweifel erhaben klarstellen, dass sich die Tyrannei eines Mannes mit seinem Schwert von keiner anderen Autorität besiegen ließ.
    Nie hätte Philip sich träumen lassen, dass diese Männer es wagen würden, Erzbischof Thomas zu töten – schon gar nicht in einer Kirche. Aber er hatte es als Junge ja auch nicht für möglich gehalten, dass jemand kommen und
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