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Die russische Spende (Stationsarzt Dr. Felix Hoffmann) (German Edition)

Die russische Spende (Stationsarzt Dr. Felix Hoffmann) (German Edition)

Titel: Die russische Spende (Stationsarzt Dr. Felix Hoffmann) (German Edition)
Autoren: Christoph Spielberg
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Gesellschaft leisten. Natürlich waren im Grund alle froh, daß sie nicht zu Hause für die obligatorische lustig ausgelassene Silvesterstimmung sorgen mußten, aber man kann andererseits zu Silvester kaum seine Kleinfamilie alleine zu Hause sitzen lassen.
    Also ist unser Kliniksilvester keine um bunte Papierschlangen, selbstgemachte Salate und reichlich Alkohol erweiterte Personalversammlung, sondern eine Veranstaltung, an der die Familien unserer Mitarbeiter teilnehmen. Sie dürfen sich den ganzen Abend lustige Klinikgeschichten anhören und jedes Silvester aufs neue entsetzt sein, wie anhaltend wir immer wieder über »die blödeste Fehldiagnose des Jahres« oder »die unnötigste OP des Jahres« lachen können und daß auch ein Arzt durchaus zwischen hübschen und weniger hübschen Patientinnen zu unterscheiden vermag.
    In meinem Rücken ging die Tür auf, gedämpftes Lachen drang in die Nacht. Dann hielten mir warme Hände die Augen zu, und ein gut bekannter Körper schmiegte sich an mich.
    »Endlich, Marlies, warum hast du mich so lange warten lassen? Oder bist du es, Sieglinde?«
    »Hat Sexy-Renate dir nicht gereicht?«
    »Du weißt, wie sehr ich Liebe brauche. Ich rede nicht gerne davon, aber Celine ist frigide.«
    Ich bekam einen Tritt gegen das linke Schienbein.
    »Der einzige, der hier kalt ist, bist du!«
    Meine Freundin Celine nahm ihre Hände von meinen Augen, drückte meine Zigarette aus und gab mir einen Kuß. Aber nur einen kurzen.
    »Ich kann es spüren – du hast Renate geküßt!«
    Auch das rechte Schienbein bekam seinen Tritt. Wahrscheinlich hatte Celine es nicht gespürt, aber geschmeckt. Schwester Renate benutzt diese Lippenstifte mit Geschmack. Heute war es, glaube ich, Pfirsich-Maracuja gewesen.
    »Das stimmt nicht. Ich habe sie nicht geküßt. Sie hat mich geküßt. Ich konnte mich nicht wehren, keine Chance. Ich bin das Opfer!«
    Es mag ja stimmen, daß das Rauchen lebensverkürzend ist, aber in diesem Augenblick hat es mir das Leben gerettet – wieder öffnete sich die Tür, ein paar willensschwache Abhängige stolperten zu uns heraus in die Kälte. Und nie würde Celine unter Zeugen morden, dumm ist sie nicht.
    »Die letzte für dieses Jahr«, verkündete lallend ein aknepickeliger Teenager mit Flaumbart. Ich hatte ihn schon einmal gesehen, wußte indessen nicht, welchem oder welcher meiner Kollegen ich ihn zuordnen sollte. Aber Raucher sind gesellige Menschen, also zündete ich mir noch eine an.
    Die letzte bis zum nächsten Silvester, hoffte ich.
    Piep – piep – piep – piep – ich war noch nicht ganz damit durch, auch den mir zum großen Teil vollkommen fremden Angehörigen meiner Kollegen ein glückliches neues Jahr zu wünschen, als mein Notrufempfänger Alarm gab. Er zeigte die Station C4 als Auslöser des Alarms an. Meine Station. Schwester Käthe und Schwester Renate brauchten Hilfe. Unsere neuen Empfänger sind ziemlich schlau: Auf ihrem Display erscheint nicht nur die Station, sondern auch das Zimmer, in dem Hilfe gebraucht wird.
    Als ich es nach einem Spurt über das vereiste Klinikgelände leicht hustend in das Zimmer des Privatpatienten Winter geschafft hatte, sah ich Schwester Käthe voll in Aktion. Sie hatte Winter das Brett vom Kopfende unter den leblosen Körper geschoben, hockte mit gespreizten Beinen auf seinen Oberschenkeln und bearbeitete rhythmisch sein Brustbein. Fast hätte man es für ein etwas derbes Liebesspiel zwischen einer Krankenschwester kurz vor ihrer Pensionierung und einem richtig alten Mann halten können.
    Schnell war Winter intubiert, dann tauschten wir ohne ein Wort die Rollen, ich übernahm die Herzmassage, während sich Käthe um ein bißchen Luft für Winters schlaffe Lungenflügel kümmerte. Schwester Käthe und ich sind ein eingespieltes Team, wenn es um Wiederbelebung geht.
    Man kann natürlich fragen, ob es besonders sinnvoll ist, einen Zweiundachtzigjährigen zu reanimieren. Das muß man aber, wenn überhaupt, vorher. Käthe hatte schon begonnen und brauchte einfach Hilfe, die Dinge gewinnen dann eine Eigendynamik. Du kniest auf dem Toten, schuftest dich fast selbst zu Tode, aber es gibt nur eine Idee: Es muß klappen! Plötzlich ist es wirklich so, wie sich der Patient den Arzt immer vorstellt: Der Tod ist dein ganz persönlicher Feind. Du – Stoß – wirst – Stoß mir – Stoß – nicht – Stoß – abkratzen – Stoß – wäre – Stoß – ja Stoß – noch – Stoß – schöner – Stoß – nun – Stoß – mach –
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