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Die russische Spende (Stationsarzt Dr. Felix Hoffmann) (German Edition)

Die russische Spende (Stationsarzt Dr. Felix Hoffmann) (German Edition)

Titel: Die russische Spende (Stationsarzt Dr. Felix Hoffmann) (German Edition)
Autoren: Christoph Spielberg
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auf die Schultern.
    »Wir wären Millionäre, wenn wir nur eine Mark für jeden Patienten bekämen, von dem wir nicht genau wissen, was er eigentlich hat oder warum er uns weggestorben ist. Was ist bloß in dich gefahren, deshalb den kleinen Schreiber so anzumachen?«
    Sie hatte recht – warum ließ ich meine Müdigkeit und Frustration an dem jungen Schreiber aus? Wahrscheinlich aus schlechtem Gewissen, weil ich Mischas Behandlung seinerzeit weitgehend meinem Arzt im praktischen Jahr überlassen hatte. Damals schien das in Ordnung, lag Mischa doch lediglich zur Beobachtung bei uns.
    »Weißt du, er war einer von den Reinigungsleuten, die wir kaum wahrnehmen und mit denen wir nie sprechen. Vielleicht habe ich mir damals nicht genug Mühe mit ihm gegeben, etwas Wichtiges übersehen.«
    »Felix, natürlich verstehe ich dich. Ein Patient, den du als gesund eingestuft hast, ist plötzlich tot! Unser schlimmster Alptraum! Aber ich kenne keinen Arzt, der sich auch nur halb soviel Mühe mit seinen Patienten gibt wie du. Geh nach Hause, und schließ den toten Mischa in dein Abendgebet ein. Mehr kannst du nicht tun. Und laß den kleinen Schreiber in Ruhe. Du willst ihm doch nicht sein USA-Stipendium vermasseln, oder?«
    Wollte ich nicht. Sie hatte recht. Ich brauchte einen schönen Metaxa und mein Bett. Morgen wäre auch noch ein Tag, um mir den Kopf über den Tod eines ehemaligen Patienten zu zerbrechen.

3
    Ich hatte Mischa Tschenkow im Oktober letzten Jahres kennengelernt, als er für dreizehn Tage mein Patient gewesen war. Von der Polizei im Klo vom Bahnhof Zoo aufgelesen, sah er ziemlich böse zusammengeschlagen aus, behauptete allerdings, gestürzt zu sein. Ein eindeutig chirurgischer Fall – Versorgung von Schnittwunden, Frakturausschluß, stationäre Beobachtung auf eventuelle innere Blutungen, aber kein besonders interessanter Fall für die Chirurgen. Ein zusammengeschlagener Asylant, der kaum ein Wort Deutsch sprach oder verstand und wahrscheinlich nicht einmal versichert war, was auch noch das Ausfüllen jeder Menge von Formularen wegen der Kostenübernahme bedeuten würde.
    So wurde Mischa zum »Konsilschein-Patienten«: Der erfahrende Aufnahmearzt wird seine Behandlung bei dieser Art von Patienten immer auf dem grünen Konsilschein dokumentieren, nie auf dem roten Aufnahmeschein, denn damit würde er Patient seiner Abteilung. Das gilt es so lange wie möglich zu vermeiden, in der Hoffnung, daß sich im Rahmen weiterer Untersuchungen ein Befund herausstellen würde, durch den eine andere Abteilung zur Aufnahme des Patienten gezwungen wäre.
    Diensthabender Chirurg war damals Hartmut. Er hatte Mischa ordentlich zusammengenäht und es zuerst mit den Augenärzten versucht (»drohende Erblindung nach Augentrauma«), dann mit den Neurochirurgen (»Verdacht auf subdurales Hämatom«). Erfolglos, er hatte sich lediglich zwei weitere Konsilscheine eingehandelt. Einen Volltreffer aber landete er mit dem routinemäßigen Röntgen-Thorax.
    »Streifige Zeichnungsvermehrung in Projektion auf den linken Oberlappen. Wahrscheinlich alte Narbe. Frische, auch spezifische Veränderungen sind jedoch nicht auszuschließen, Vergleich mit Voraufnahmen erforderlich.« Bingo! Absichern ist das Gesetz Nr. 1 des Krankenhausarztes, also auch schriftlich festhalten, was nicht auszuschließen ist. Hartmut wußte, daß sein Problem mit dem Zauberwort »spezifische Veränderungen« gelöst war. Unschuldig lächelnd schob er mir damals einen Konsilschein für Mischa zu, »spezifische Veränderungen im Röntgen-Thorax nicht auszuschließen, erbitte Ausschluß Tbc«.
    Hartmut wußte natürlich genau, daß ich nachts um eins nicht eine frische Lungentuberkulose ausschließen konnte, schon gar nicht bei einem Russen, der noch nicht einmal seine alten Röntgenaufnahmen auf das Klo im Bahnhof Zoo mitgenommen hatte. Die Masche mit der Tbc war allerdings besonders unangenehm, weil Mischa vorerst isoliert werden mußte. Und da auf der Isolierstation natürlich kein Zimmer frei war, mußte ich ein ganzes Zimmer auf meiner Station räumen und mir das Gezeter der davon betroffenen Patienten anhören. Ich rächte mich an Hartmut, indem ich ihn stündlich bestellte, um eine inzwischen vielleicht aufgetretene innere Blutung auszuschließen. Wenn er mir schon Mischa angedreht hatte, sollte er auch etwas von der Nacht haben.
    In Mitteleuropa längst in die gesellschaftlichen Randgruppen verdrängt, hatten beim Fall der Mauer in Berlin und des eisernen Vorhangs
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