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Die russische Spende (Stationsarzt Dr. Felix Hoffmann) (German Edition)

Die russische Spende (Stationsarzt Dr. Felix Hoffmann) (German Edition)

Titel: Die russische Spende (Stationsarzt Dr. Felix Hoffmann) (German Edition)
Autoren: Christoph Spielberg
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hätte mir als dem Doktor, der den Leichenschauschein unterschrieben hat, Bescheid gegeben. Trotzdem rief ich noch schnell in der Pathologie an und erwischte Karl, den Oberpfleger.
    »Karl, hier ist Hoffmann. Habt ihr den gelben Russen schon obduziert?«
    »Der war aus der Ukraine, Doktor.«
    »Mach mich nicht an, Karl. Habt ihr oder habt ihr nicht?«
    »Dein gelber Ukrainer ist schon längst weg. In einem Stück und ohne Holzwolle im Bauch.«
    Keine Sektion?«
    »Keine Sektion.«
    »Hat ihn die Staatsanwaltschaft beschlagnahmt?«
    »Wieso denn das, Doktor? Was soll denn der Staatsanwalt mit dem? Die Jungs vom Bestattungsunternehmen haben ihn gleich mitgenommen. Ich bin froh, wenn ich die Gelben schnell los bin. Kann immer mal was Infektiöses sein.«
    »Wieso ist er nicht obduziert worden, Karl?«
    »Wieso sollte er, Doktor? Natürlicher Tod, Sektion verweigert. Kurze saubere Sache, war keine zehn Stunden unser Gast. Dem können wir kaum unsere Vollpension für hier unten berechnen.«
    »Karl, warte bitte auf mich. Ich bin gleich bei dir.«
    Obgleich ich schon acht Jahre an unserem Besten-aller-Krankenhäuser arbeitete, hatte ich immer noch Schwierigkeiten, den Weg zur Pathologie zu finden. Man muß durch die Cafeteria im Erdgeschoß und dann den Fahrstuhl ins Untergeschoß finden. Ab hinterer Ausgang Cafeteria kann man sich von der Nase leiten lassen, der zunehmend stärker werdende Formaldehydgeruch weist die Richtung. Eventuellen Hinterbliebenen wird ein anderer Weg gewiesen, die kürzeste Verbindung von dem Büro für Personenstandswesen, wo sie mit einer kurzen Floskel des Bedauerns die Unterlagen für Standesamt und Bestattungsinstitut bekommen.
    Dieser Weg führt über eine kleine Treppe ins Untergeschoß direkt in den Bauch der Klinik, vorbei an der Warenannahme, der Bettenwaschanlage und der zentralen Müllbeseitigung. Ich weiß nicht, ob die Nähe der Pathologie zur zentralen Müllbeseitigung von den Trauernden überhaupt bemerkt wird. Aber neben der Tatsache, daß dieser Weg nicht besonders pietätvoll ist, hat er einen weiteren Nachteil. Der unvermeidbare Geruch von der zentralen Abfallverwertung und Müllbeseitigung nimmt den Trauernden die Möglichkeit, sich bei ihrer Wanderung am Formaldehydgeruch aus der Pathologie zu orientieren. Unsere Warenannehmer, Bettenwäscher und Müllbeseitiger kennen das Problem und weisen den Hinterbliebenen in stummer Anteilnahme den Weg.
    Ich kenne Pathologie-Oberpfleger Karl gut. Das Wort Pfleger mag im Zusammenhang mit seiner Klientel nicht ganz passend erscheinen, aber tatsächlich erfahren die Toten von ihm oft mehr Pflege, als ihnen zu Lebzeiten auf der Station zuteil geworden war. Und im Gegensatz zu den Damen im Personenstandswesen ist Karl mit seinem nicht sehr subtilen, aber ehrlichen Beileid vielen Hinterbliebenen ein wirklicher Tröster. Unsere Beziehung reicht Jahre zurück, in die Zeit meines Staatsexamens. Für eine nicht übertriebene Gratifikation (eine Flasche Meisterbrand von Aldi) hatte er mir damals am Tag vorher die Leichen gezeigt, die in der Prüfung drankommen würden.
    Karl mochte ein kleines Alkoholproblem haben, aber daß er einen Leichenschauschein nicht lesen konnte oder Leiche und zugehörigen Leichenschauschein verwechseln sollte, schien mir ausgeschlossen.
    Als ich die Pathologie endlich gefunden hatte, sortierte er gerade Sektionsberichte und histologische Befunde ein.
    »Du siehst toll aus, Doktor! Hast du Nachtdienst gehabt?«
    Wir duzten uns noch aus der Zeit der Prüfungsleichen.
    »Habe ich, Karl. Aber als der gelbe Mischa kam, war ich noch relativ frisch und durchaus imstand, den Leichenschauschein ordentlich auszufüllen. Also – warum keine Sektion? Ich habe ›Todesursache nicht aufgeklärt‹ angekreuzt.«
    »Du? Ich habe keinen Leichenschauschein von dir, Doktor.«
    »Du hast keinen Leichenschauschein von der gelben Leiche?«
    »Natürlich habe ich. Wie, denkst du, kann ich die Leiche sonst herausgeben!«
    »Kann ich den Leichenschauschein mal sehen, Karl?«
    Karl wurde jetzt zwar nicht unsicher, aber doch genau.
    »Du kannst unsere Kopie sehen. Das Original haben die Leute vom Bestattungsinstitut. Wie sollen sie sonst die Leiche unter die Erde bringen!«
    Karl holte den Ordner »Leichenschauscheine« aus seinem Regal und gab mir den obersten. Es war der richtige. »Tschenkow, Mischa. Geboren 20. April 1971. Verstorben gestern, 19 Uhr 10.« Aber – es war nicht meine Schrift. Ich blätterte weiter. »Todesursache:
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