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Die Rückkehr des Poeten

Die Rückkehr des Poeten

Titel: Die Rückkehr des Poeten
Autoren: Michael Connelly
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hatten wir nicht mal Leinen ausgeworfen. Das Boot machte volle Fahrt, wahrscheinlich so um die fünfundzwanzig Knoten. Und ich und Otto – das ist der Kunde –, wir waren in der Plicht, als das Boot plötzlich eine Neunzig-Grad-Wendung nach Westen machte. Raus aufs offene Meer, Mann. Mir war sofort klar, dass da was nicht stimmen konnte, deshalb stieg ich die Leiter rauf, um nach Terry zu schauen, und dann sehe ich ihn so über das Ruder gesunken. Er war zusammengebrochen. Ich bin sofort zu ihm, und er lebte noch, aber, Mann, er war nicht mehr bei Bewusstsein.«
    »Was haben Sie dann gemacht?«
    »Ich war früher mal Rettungsschwimmer. In Venice Beach. Ich weiß noch, wie man Wiederbelebungsmaßnahmen macht. Ich rief Otto nach oben und kümmerte mich um Terry, während Otto das Ruder übernahm und über Funk die Küstenwache verständigte. Ich hab’s nicht geschafft, Terry wieder zurückzuholen, aber ich habe Luft in ihn reingepumpt, bis der Hubschrauber auftauchte. Was übrigens ganz schön gedauert hat.«
    Ich machte mir eine Notiz in meinem Block. Nicht, weil es wichtig war, sondern weil ich Lockridge das Gefühl vermitteln wollte, dass ich ihn ernst nahm und dass alles, was er für wichtig hielt, auch für mich wichtig war.
    »Wie lange haben sie gebraucht?«
    »Zwanzig, fünfundzwanzig Minuten. Wie lang genau, weiß ich nicht, jedenfalls kommt es einem wie eine Ewigkeit vor, wenn man jemanden am Atmen zu halten versucht.«
    »Ja. Alle, mit denen ich gesprochen habe, sagten, Sie hätten nichts unversucht gelassen. Und Sie sagen, Terry hat kein Wort mehr gesprochen. Er brach einfach am Ruder zusammen.«
    »Genau.«
    »Was war dann das Letzte, was er zu Ihnen gesagt hat?«
    Lockridge begann an einem Daumennagel zu kauen, als er sich daran zu erinnern versuchte.
    »Das ist eine gute Frage. Schätze, das war, als er an die Reling hinterkam, da, wo man in die Plicht runtersieht, und zu uns runterrief, dass wir bis Sonnenuntergang zu Hause wären.«
    »Und wie viel Zeit ist danach vergangen, bis er zusammenbrach?«
    »Eine halbe Stunde, vielleicht auch mehr.«
    »Aber zu diesem Zeitpunkt ging es ihm noch gut?«
    »Ja, er war ganz normal, wie immer. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass dann so was passieren würde.«
    »Zu diesem Zeitpunkt waren Sie vier Tage ununterbrochen auf dem Boot, ist das richtig?«
    »Das ist richtig. War ein bisschen eng auf Dauer, weil der Kunde die Kajüte hatte. Ich und Terry haben in der Bugkabine gepennt.«
    »Haben Sie in dieser Zeit gesehen, dass Terry jeden Tag seine Medikamente einnahm? Sie wissen schon, die ganzen Pillen, die er nehmen musste.«
    Lockridge nickte mit Nachdruck.
    »O ja, er hat brav seine Pillen geschluckt. Jeden Morgen und jeden Abend. Wir haben eine Menge Chartertouren zusammen gemacht. Es war ein richtiges Ritual bei ihm – man konnte seine Uhr danach stellen. Er hat es nie vergessen. Auch auf dieser Fahrt nicht.«
    Um nichts sagen zu müssen, machte ich mir ein paar Notizen, damit Lockridge vielleicht weiterredete. Das tat er aber nicht.
    »Hat er irgendeine Bemerkung gemacht, dass sie anders schmeckten oder dass er sich anders fühlte, nachdem er sie eingenommen hatte?«
    »Ist es das, worauf Sie hinauswollen? Versuchen Sie irgendwie nachzuweisen, dass Terry die falschen Pillen genommen hat, damit die Versicherung nichts zahlen muss? Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich mich nie bereit erklärt, mit Ihnen zu sprechen.«
    Er wollte von der Bank aufstehen. Ich langte über den Tisch und packte ihn am Arm.
    »Bleiben Sie sitzen, Buddy. Darum geht es hier nicht. Ich arbeite nicht für die Versicherung.«
    Er ließ sich auf die Bank zurückplumpsen und sah auf seinen Arm, wo ich ihn gepackt hatte.
    »Worum geht es dann?«
    »Sie wissen doch bereits, worum es geht. Ich will mir nur Gewissheit verschaffen, dass Terrys Tod wirklich das war, was er angeblich war.«
    »Was er angeblich war?«
    Ich merkte, dass meine Wortwahl nicht sehr glücklich gewesen war.
    »Was ich damit zu sagen versuche, ist: Ich will sichergehen, dass niemand nachgeholfen hat.«
    Lockridge sah mich eine Weile forschend an und nickte dann bedächtig.
    »Sie meinen, ob die Pillen vielleicht nicht in Ordnung waren oder ob jemand sich daran zu schaffen gemacht hat?«
    »Zum Beispiel.«
    Lockridge biss entschlossen die Zähne zusammen. Es erschien mir aufrichtig.
    »Brauchen Sie Hilfe?«
    »Möglicherweise ja. Ich fahre morgen früh nach Catalina rüber. Mir das Boot ansehen. Könnten Sie
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