Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin

Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin

Titel: Die Rosenzüchterin - Link, C: Rosenzüchterin
Autoren: Charlotte Link
Vom Netzwerk:
Sturm-und-Drang-Zeit erst hinter ihr lag. Nein, Mae war nie wirklich böse behandelt worden vom Leben.
    Und ich? fragte sich Beatrice. Bin ich böse behandelt worden vom Leben?
    Es war die Frage, die ihr fast jedesmal hier oben auf dem Klippenpfad durch den Kopf schoß, und sie war der Grund, weshalb Beatrice manchmal dachte, es sei besser, die Bay und ihre Umgebung zu meiden. Doch bisher war es ihr noch immer geglückt, die Frage unbeantwortet zu lassen und wieder zu verdrängen, und mit einer Art wütendem Trotz schlug sie jeden Morgen denselben Weg ein, den sie nun schon seit Jahrzehnten nahm und von dem sie sich ein paar quälender Gedankengänge wegen nicht vertreiben lassen wollte.
    Sie schob die Frage nach den Widrigkeiten in ihrem Leben auch an diesem Morgen zur Seite und rief nach den Hunden – Zeit, den Rückweg anzutreten. Helene saß sicher schon aufrecht im Bett und erwartete ihren Morgentee. Beatrice wußte, wie ungeduldig sie ihrer Rückkehr vom Spaziergang entgegensah. Nicht, weil sie etwa
hungrig oder durstig gewesen wäre. Aber nach einer langen Nacht gierte Helene nach einem Menschen, bei dem sie jammern und klagen konnte. Helene weinte gern und viel, und ähnlich wie Mae beschäftigte auch sie sich allzuviel mit zahlreichen Wehwehchen. Aber während Mae auch ihre sehr fröhlichen, kumpelhaften Seiten hatte, bestand Helene oft nur aus Unzufriedenheit und Genörgel.
    »Kommt, Jungs!« sagte Beatrice zu den Hunden – Misty als einziges Weibchen bezog sie einfach in diesen Sammelbegriff mit ein –, »wir müssen heim und uns um Helene kümmern! «
    Die Hunde schossen herbei und trabten nun im Rudel vor Beatrice her in Richtung Heimat. Hatte sie zuvor die Aussicht auf ein wildes Toben am Meer gereizt, so lockte nun die Erwartung eines üppigen Frühstücks daheim.
    Sie sind immer zufrieden, dachte Beatrice, weil die ganz einfachen Dinge im Leben wichtig für sie sind. Sie stellen nichts in Frage. Sie leben einfach.
    Auf dem Rückweg lief sie noch flotter als auf dem Hinweg, und als sie zu Hause ankam, hatte sie alle quälenden Gedanken abgeschüttelt.
    Das Haus, gemauert aus dem bräunlichen Granit der Insel, umgeben von Rosen, Rhododendren und riesigen blauen Hortensien, lag wie ein kleines, friedvolles Paradies im Licht des Morgens. Die grünen Fensterläden standen weit offen, nur die vor Helenes Fenster im ersten Stock waren geschlossen. Es war genau halb acht. Jeder auf der Insel Guernsey hätte nach Beatrice die Uhr stellen können.
     
    Um zehn vor acht betrat Beatrice Helenes Zimmer. Sie trug ein Tablett, auf dem eine Tasse Tee und ein Teller mit zwei Scheiben Toastbrot standen. Helene behauptete zwar stets, morgens überhaupt nichts essen zu können, aber auf geheimnisvolle Weise waren die Brote später immer verschwunden. Beatrice hatte einmal danach gefragt, und Helene hatte geantwortet, sie habe die Vögel damit gefüttert, aber Beatrice hatte das nur halb geglaubt. Helene war zart und schlank, doch sie sah keineswegs abgemagert aus, und es war klar, daß sie heimlich mehr aß, als sie zugab.
    Sie hatte die Nachttischlampe eingeschaltet und saß aufrecht in
ihren Kissen. Sie mußte bereits im Bad gewesen sein, denn ihre Haare waren gekämmt, und auf ihren Lippen lag ein Schimmer von hellrosafarbenem Lippenstift. Gereizt fragte sich Beatrice, warum sie, wenn sie schon aufstand, nicht auch in der Lage war, Fenster und Fensterläden zu öffnen. Ihr Zimmer, dunkel, warm und stickig, erinnerte an eine Gruft, und vermutlich war dies auch genau der Eindruck, den Helene erwecken wollte. Sie war achtzig Jahre alt und konnte manchmal etwas vergeßlich und konfus sein, aber sie bewies immer noch einen erstaunlichen Scharfsinn, wenn es darum ging, das Mitleid ihrer Umwelt zu erregen.
    Helene wollte von morgens bis abends bedauert werden. Beatrice wußte, daß sie nicht immer so gewesen war, aber sie hatte stets den Hang gehabt, sich in ein Gefühl der Schutzlosigkeit hineinzusteigern und die Menschen um sich herum zu zwingen, ihr Mitleid und Anteilnahme entgegenzubringen und ihr hilfreich zur Seite zu stehen. Mit den Jahren hatte sich diese Neigung verfestigt, und inzwischen gab es nur noch wenige, die ihre ständige Larmoyanz ertrugen.
    »Guten Morgen, Helene«, sagte Beatrice und stellte das Tablett auf einen Tisch neben das Bett. »Hast du gut geschlafen?«
    Sie kannte die Antwort, und sie kam prompt. » Ich habe fast kein Auge zugetan, ehrlich gesagt. Die ganze Nacht habe ich mich herumgewälzt,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher