Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Titel: Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
Autoren: Hunter S. Thompson
Vom Netzwerk:
Führungspersönlichkeit entwickelte. Sein Ruf als journalistischer Outlaw stand damals bereits außer Frage, doch mit seinem Artikel über Salazar sollte er sich darüber hinaus auch als investigativer Journalist einen Namen machen, der geradezu besessen recherchierte.
    Er war ein Typ, den man einfach mögen musste. Ich glaube, es lag an seinem angeborenen Südstaatencharme in Kombination mit einer gewissen, sagen wir mal, Schüchternheit – so widersprüchlich das auch klingen mag. Er war in jenem Frühling in der Stadt, um an »Angst und Schrecken in Las Vegas Teil I« zu schreiben, wozu er sich im Keller von Jann Wenners Haus einquartiert hatte. Seine Besuche in den Redaktionsräumen – einer ehemaligen Fabriketage in einem Lagerhaus in Downtown San Francisco mit jeder Menge freiliegender Deckenbalken und unverputzten Wänden – waren nicht allzu häufig, doch hinterließen sie jedes Mal einen bleibenden Eindruck. Hunter war ein groß gewachsener, stämmiger Typ, der dennoch eine gewisse Grazie und ein unzweifelhaftes Charisma ausstrahlte, dem man sich nicht entziehen konnte.
    Er war etwa eins fünfundachtzig groß, trug normalerweise Khaki-Shorts und Basketballschuhe und dazu entweder einen Parka oder eine Safarijacke. Wann immer er die Redaktion betrat, verfiel er in einen o-beinigen Tänzelschritt und rauschte kreuz und quer durch den Raum wie eine Comicfigur, um seinem Auftritt mehr Verve zu verleihen, bevor er auf den großen, runden Eichentisch in der Chefredaktion zusteuerte, der als allgemeiner Treffpunkt diente, um dort seinen Lederrucksack abzustellen und dessen Inhalt auszubreiten, der mit leichten Abweichungen immer aus den gleichen Zutaten bestand: etwas zu essen, beispielsweise eine Grapefruit, eine Stange Dunhill-Zigaretten, eine Flasche Wild Turkey, eine Stablampe, wie sie die Polizei benutzte, und eine Dose Reizgas.
    Erst dann machte er den Mund auf und fing an zu reden. Ich bezeichnete diesen Redeschwall als »Hunter-isch«. Seine Vorträge hatten etwas von einem Rasensprenger oder einem Maschinengewehr. Eine sprudelnde Abfolge von dahingemurmelten Silben, die man anfangs kaum verstand, doch sobald man sich einmal in den Rhythmus hineingefunden hatte, wurde einem klar, dass es sich bei dem, was er da in einem Affentempo von sich gab, um wohlformulierte Sätze handelte.
    Eines Tages kam Hunter kurz vor Mittag vorbei und verteilte diverse Manuskriptseiten an mich und ein paar andere Redakteure, um gleich darauf wieder von dannen zu ziehen, ohne auch nur ein Wort gesagt zu haben. Wie sich herausstellte, handelte es sich dabei um den ersten Teil von Vegas , und bis zum späten Nachmittag hatte der größte Teil der Belegschaft die Sachen gelesen und war völlig geplättet. Immer wieder brach irgendwer in Gelächter aus und allenthalben wurden Lieblingsstellen zitiert: »Ein Zug zu viel? Du armer Trottel. Warte erst mal, bis du die elenden Fledermäuse siehst!« Auf Hunter-isch vorgetragen, versteht sich.
    Wenn er gerade nicht mit Schreiben beschäftigt war, und dies betrieb er mit großer Ernsthaftigkeit, widmete er sich gern grobem Unfug oder brach Ärger vom Zaun. Es gab etliche drogengeschwängerte und von Eskapaden erfüllte Nächte, im Anschluss an die ein Großteil der Redaktion auf dem Zahnfleisch kroch. Darüber hinaus gehörten zu seinem – und später auch unserem – Bekanntenkreis ein paar sehr interessante Gestalten wie beispielsweise Oscar Zeta Acosta, an den die Figur des »dreihundert Pfund schweren samoanischen Anwalts« aus Vegas angelehnt war, sowie ein Kumpel und gelegentlicher Gehilfe, den alle nur als Savage Henry kannten.
    Hunter hatte diverse Vorlieben, an die wir uns anfangs erst gewöhnen mussten: so zum Beispiel sein Faible für Karnevalsperücken oder Tonbandaufnahmen von Tieren im Todeskampf, die auf mysteriöse Art und Weise plötzlich aus den Lautsprechern der Stereoanlage in der Redaktion drangen. Oder Scherzartikel, die er in irgendwelchen obskuren Läden erstanden hatte. Eines Abends beispielsweise waren wir bei Jann zu Hause eingeladen. Als wir ankamen standen wir mit einem Mal Hunter gegenüber, der ein zerrissenes Batik-T-Shirt trug, das mit roten Flecken übersät war. Er hielt eine riesige Injektionsspritze für Pferde in der Hand und verkündete, dass er sich damit eine Ladung 80-prozentigen Rum direkt in den Nabel jagen würde. Im nächsten Augenblick rammte er sich die »Nadel« in den Bauch, kippte vornüber und stieß eine Reihe stöhnender Klagelaute
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher