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Die Reisen Des Paulus

Die Reisen Des Paulus

Titel: Die Reisen Des Paulus
Autoren: Ernle Bradford
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Meer auf. Wenn der Steuermann geschickt war, konnte er den bescheidenen Windschutz auf ihrer Südseite nutzen. Wenn das aber nicht gelang, würden sie höchstwahrscheinlich fortgefegt werden und sich auf den Sandbänken vor Nordafrika wiederfinden.
    Das Beiboot, das im Schlepp war, schaukelte bedenklich auf den Wellen. Brecher überspülten es, es drohte zu sinken.
    Die größte Gefahr war jedoch, daß sich durch den immer heftiger werdenden Wind und die immer gewaltigeren Wogen die Fugen des Schiffs öffneten. Und wenn das Getreide naß wurde, würde es zu quellen beginnen und überstark gegen die Schiffswände drücken. Der Kapitän verstand sein Handwerk. Sie überwanden die Untiefen im Norden der
    Insel, passierten das Riff, von dem nur zwei Felseilande aus dem Wasser ragten, und erreichten die Leeseite Klaudas.
    Die Passagiere halfen bei der Bergung des Beiboots, und die Matrosen widmeten sich einer äußerst wichtigen Tätigkeit: Sie zurrten das Schiff fest. Zu diesem Zweck wurden dicke Taue um den Bug geschlungen und bis zur Mitte des Schiffs geführt. Dann wurden Taue durch die Ankeraugen an Backbord und Steuerbord gezogen, bis sie sich in der Mitte des Decks trafen, und mit Hilfe von Haspeln oder Ankerwin-20
    den so fest wie möglich verspannt. Ziel dieser Maßnahme war es, den zentralen Teil des Rumpfs mit einem starken Gürtel aus Tauen zu festigen, damit Planken und Spanten etwas weniger strapaziert wurden.
    Das Hauptsegel war gerefft, das Großrahsegel niedergeholt und auf dem Deck festgezurrt worden. Nun fuhr das Schiff mit einfacher Sturmbesegelung. Sie bestand aus einem kleinen, rechteckigen Sturmsegel, das auf einem Fock-mast aufgezogen wurde, der in steilem Winkel nach oben stand – in späteren Jahrhunderten nannte man das Bug-spriet. Mit Sturmbesegelung konnte das Schiff zwar nicht richtig beidrehen, hatte aber eine kontrollierte Driftge-schwindigkeit. Außerdem konnte man es etwa 45° quer-
    ab zum Wind steuern. Und da der Sturm nach wie vor aus Ostnordost wehte, hatte dies zur Folge, daß das Getreideschiff jetzt von Klauda aus in westlicher, ein klein wenig nach Norden versetzter Richtung durchs Mittelmeer trieb.
    Es war alles andere als gemütlich. Das Feuer in der Kombüse war längst erloschen, und außer kalten Bohnen und Brot gab es kaum etwas zu essen – falls die Passagiere überhaupt Appetit hatten. Die meisten machten sich nicht Gedanken darüber, ob und wann die nächste Mahlzeit aufgetragen wurde. Auf Deck oder unter Deck waren sie auf ihr Lager hingestreckt – nur noch seekrank, apathisch und verzweifelt. Der Himmel war dicht bewölkt, »an vielen Tagen erschienen weder Sonne noch Sterne«, Gischt sprühte über die Schandeckel, monoton klackten die Blöcke, schnalz-te Tauwerk gegen den Mast, dazu der üble Geruch nassen Getreides und der Gestank des Bilgenwassers. Der Kapitän und seine Berater wußten nicht viel mehr, als daß sie weit 21
    westlich von Kreta dahintrieben. Sie hatten keinen Kompaß, keine Logge zur Berechnung der Entfernung, die sie zu-rücklegten, sie kannten eigentlich nichts weiter als ihr Schiff und konnten etwa abschätzen, wie groß die Driftgeschwin-digkeit mit Sturmbesegelung war. (Das Schiff machte ein bis zwei Knoten in westlicher Richtung.) Als der Kapitän die steilen Felswände Klaudas hinter sich verschwinden sah, wußte er genau, welche Gefahr dem Schiff durch seine Ladung drohte. Er schickte alle Mann an die Arbeit und ließ so viel Ballast wie möglich über Bord werfen. Das dunkle Meer war hell mit Korn gesprenkelt. Die Matrosen plackten sich damit ab, das Wasser unter Kontrolle zu halten. Und als sie riefen, das Schiff drohe unterzugehen, befahl der Kapitän, alles, was von Ausstattung und Zubehör nicht unentbehrlich und zum Überleben nötig war, über Bord zu werfen. Das Schiff sollte leichter werden.
    Sie befanden sich jetzt mitten im Ionischen Meer, einer der stürmischsten Ecken des Mittelmeers. Tagelang waren sie dahingetrieben. Von Hunger und Kälte geschwächt, hatten die Passagiere und selbst die Crew alle Hoffnung verloren. Auffallenderweise schien nur ein einziger nicht be-unruhigt – und das war weder der Kapitän noch der
    Hauptmann, nein, der alte Jude mit den durchdringenden Blicken. Er trat aufs Deck hinaus, blickte zum Himmel empor, strich mit von Salz weißer Hand über den Schandeckel und bewegte die Lippen, als spräche er mit sich selbst.
    Eines Tages, als die zusammengekauerten Menschen-
    bündel mit ihren Strohsäcken
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