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Die Reisen Des Paulus

Die Reisen Des Paulus

Titel: Die Reisen Des Paulus
Autoren: Ernle Bradford
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und schliefen unter freiem Himmel. Sklaven, verurteilte Verbrecher und Zwischendeckpassagiere hielten sich wohl im Schiffsbauch auf und konnten kaum »die Beine auf den nackten Planken am Bilgenwasser ausstrecken«, wie es der griechische Schriftsteller Lukian formulierte. Zwischen den Bodenplanken befanden sich Rinnen, damit das Bilgenwasser zum Pumpensod fließen konnte, wo es von den Matrosen auf Wache vermittels einer archimedischen Schraube oder einfach mit Ledereimern abgeschöpft wurde.
    Einige wenige Passagiere, darunter mit Sicherheit Julius und höchstwahrscheinlich seine wichtige »Fracht«, kamen in den Genuß des bescheidenen Komforts im Deckhaus am Heck, wo auch der Kapitän seine Kajüte hatte. Gleich daneben war die Kombüse. Bei schönem Wetter sah man, wie die Kü-
    chendünste aufstiegen, und roch die appetitanregenden Düf-te von Gemüsesuppe und backofenfrischem Brot. Die Kom-büse war sehr einfach. Herd und Backofen stellten schlichte Konstruktionen dar, Eisenstangen, darunter feuerfester Ton, und das Ganze stand auf einem Ziegelboden. Und das war immer noch höherentwickelt als die offenen Feuerstellen auf den Schiffen, mit denen Kolumbus 1400 Jahre später den Atlantik überquerte.
    In diesem Jahr hielten die Nordwinde, die in der Ägäis den Sommer über vorherrschen, bis in den Herbst hinein an. Der Kapitän hatte auf eine günstige Brise gehofft, die das Schiff vom Festland wegtreiben sollte, damit es geradewegs durch die südliche Ägäis nach Cythera, der Insel 15
    Aphrodites, fahren konnte. Nun steckte er in der Klemme.
    Das Schiff hatte eine schwer zu bedienende Takelung, war fast völlig von einem einzigen Hauptsegel abhängig, und so mußte der Kapitän befürchten, daß es vom Kurs abtrieb und nicht nach Cythera gelangte, sondern an die zerklüftete Nordküste von Kreta verschlagen wurde. Und es gab dort nur sehr wenige Häfen. Er beriet sich mit dem Steuermann.
    Sie kamen überein, daß es am vernünftigsten sei, gleich den Kurs zu ändern und sich südlich von Kreta zu halten. Da der Wind ständig von Norden wehte, würden sie dort wohl Schutz finden. Danach konnten sie an der Küste entlang-fahren. Wenn Wind und Wetter es erlaubten, würden sie das Ionische Meer durchqueren, bis sie einen sizilianischen Hafen erreichten – entweder Syrakus oder Messina. Sie lie-
    ßen die Felsinseln Karpathos und Kasos backbord liegen, nahmen Südkurs durch die Ägäis und kamen schließlich zum windgeschützten Kap Salmone an der Ostspitze von Kreta. Auch jetzt war die Fahrt nicht unbeschwerlich. Der Nordwind fegte die Berge herunter und wirbelte Sturmbö-
    en über den Vorhügeln auf. Das Kauffahrteischiff mit seiner schweren Großrah hatte so weit wie möglich längsschiff s gebraßt und kam schlecht voran. Langsam fuhr es an der Küste entlang. Man mußte ständig darauf gefaßt sein, daß man südwärts bis nach Afrika abgetrieben wurde, wenn man den Kurs nicht halten konnte. Nachdem das Schiff etwa die halbe Strecke an der Südküste Kretas entlang zu-rückgelegt hatte, fand man windgeschützten Ankergrund in einer kleinen Bucht, die Kaloi Limenes (Schönhafen) hieß.
    Sie lag ein wenig östlich von Kap Matala. Hier warteten sie und hofften, daß der Wind sich günstig drehte. Da er nach 16
    wie vor von Norden wehte, konnten sie sich nicht in die Bucht jenseits des Kaps wagen. Der September würde bald um sein, und es schien klar, daß das Schiff in Kreta überwintern mußte, wenn sich das Wetter nicht wesentlich besserte – keine erfreuliche Aussicht. In der Nähe lag zwar die kleine Stadt Lasäa, aber deshalb war der Hafen noch längst nicht geeignet. Alle wollten nach Möglichkeit weiterkom-men, aber selbst der Kapitän, der darauf bedacht sein muß-
    te, seine kostbare Ladung unter Dach und Fach zu bringen, sah nur zu gut, daß das Winterwetter heuer früher als üblich eingesetzt hatte.
    Am 5. Oktober, dem jüdischen Versöhnungsfest, beob-
    achtete man, daß der kahlköpfige Mann und der eine seiner Bediensteten (der andere, der Arzt, tat nicht mit) weder Brot noch Wein zu sich nahmen. Juden also, wie man bereits vermutet hatte. Ein paar Tage später fand in der Kapitänska-jüte eine Beratung statt. Der Kapitän führte zwar das Schiff, war aber Rom unterstellt, und den höchsten Rang an Bord nahm Julius ein. Es entsprach den römischen Gepflogenheiten, keinen Unterschied zwischen dem Dienst an Land und dem Dienst auf See zu machen. Wenn der Hauptmann vom augusteischen Regiment auch
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