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Die Reise

Die Reise

Titel: Die Reise
Autoren: David Gregory
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Kindheit nicht gelernt. Sie mussten sich Liebe immer wieder mit Leistung erkaufen. Und so fühlen sie sich innerlich unsicher und unzulänglich und wollen nicht, dass andere Menschen sie so kennen, wie sie sich selber kennen – oder zu kennen glauben. Sie haben Angst vor Zurückweisung.«
    »Und so machen sie das mit dem Zurückweisen lieber selber. Typisch männliche Logik.«
    Er schüttelte leicht den Kopf. »Ich glaube nicht, dass da viel Logik mit im Spiel ist. Es zieht sie einfach zu den Dingen hin, die ihnen das Gefühl geben, etwas zu können und zu leisten und nicht abgelehnt zu werden. Zum Beispiel ihre Arbeit. Sie glauben, dass diese Dinge sie innerlich satt machen werden. Da liegen sie falsch, aber – tja, sie versuchen’s halt.«
    »Wollen Sie damit sagen, dass die Männer eigentlich echte Beziehungen brauchen, und nicht Erfolg bei der Arbeit oder beim Sport oder wo auch immer?«
    »Arbeit ist etwas Wichtiges für einen Mann. Sehr wichtig sogar. Es gehört zu seiner Identität, dass er für eine Familie sorgen kann und den Eindruck hat, etwas zu können. Aber – ja, tief drinnen sehnen auch Männer sich nach Beziehung und Liebe, gerade so wie die Frauen. Sie wollen als Menschen geliebt werden und nicht als Karrieremacher und Versorger. Sie brauchen das Gefühl, angenommen zu sein.«
    »Aber was hat das mit dem Jesus-Tick meines Mannes zu tun? Ich meine, in die Kirche rennen ist ja nicht dasselbe wie Überstunden machen. Nick kriegt doch keine Gehaltserhöhung, weil er Vorträge über Jesus hält.«
    »Nein, da haben Sie Recht. Das hier ist etwas ganz anderes. Ihr Ehemann hat eine tiefere Quelle entdeckt. Wenn er gut aufpasst, wird er das finden, wonach sein Herz sich im Innersten sehnt.«
    »Wonach er sich im Innersten sehnt? Wie soll das gehen?«
    »Das ist die große Frage, nicht wahr? Wenn Sie sie richtig beantworten, können Sie vielleicht Ihre Ehe retten.«

Kapitel 5
    Wenn Sie sie richtig
beantworten, können Sie vielleicht Ihre Ehe retten.«
    Die Worte des Mannes ließen mich nicht los. Vielleicht hatte er Recht. Vielleicht war ich zu voreilig gewesen mit meiner Reaktion auf Nick, hatte mir nicht die Zeit genommen, tiefer zu bohren. Nicht dass ich viel Lust hatte, tiefer zu bohren. Nicht hier. Wenn es wenigstens etwas anderes gewesen wäre, aber nicht diese Sache mit der Religion …
    Es wäre mir leichter gefallen, nachzubohren, warum Nick eine Affäre mit einer anderen Frau hatte. Aber andererseits: Wenn meine Ehe dabei war, zum Teufel zu gehen, war es ja wohl das Mindeste, dass ich versuchte zu verstehen warum. Ich wusste, dass dieser Jesus-Tick vielleicht nur eine vorübergehende Phase war, aber es musste doch einen Grund geben, warum Nick auf diese Sache abgefahren war.
    Der Kopf des kleinen Jungen erschien wieder über der Rückenlehne. Er fing an, sich mit meinem Sitznachbarn über Sandburgen, Wassergräben und Schutzdeiche gegen hohe Wellen zu unterhalten. Offenbar ging die Reise ans Meer.
    Ich nahm wieder mein Airline-Magazin zur Hand und begann, darin zu blättern. Ein Artikel über Weine aus Texas. Er riss mich nicht aus dem Sessel. Zwei Seiten über Hilary Swanks Schauspielkarriere waren nicht viel besser. Warum stand in diesen Zeitschriften nie etwas Interessantes? Oder hatten die Herausgeber Angst vor irgendwelchen Anti-Diskriminierungs-Klagen und brachten deshalb nur lauter nichtssagendes Zeug? Ich machte einen letzten halbherzigen Versuch, einen Artikel zu finden, der mich interessierte. Kein Erfolg. Ich steckte das Magazin zurück in die Rückenlehnentasche vor mir.
    Ich schaute zum Fenster hinaus. Wo waren wir gerade? Unten erstreckte sich, so weit das Auge sah, ein unregelmäßiges Schachbrett aus Feldern, und das Land sah flach aus. Wir mussten irgendwo zwischen Ohio und Texas sein. Von mir aus. Ich schaute kurz auf meine Armbanduhr. Noch 35 Minuten.
    Ich schloss meine Augen. Ich fühlte mich eigentlich nicht müde, aber ich hatte nichts anderes zu tun. Der Mann auf dem Fensterplatz fing an, leise zu schnarchen. Davon ging der Flug auch nicht schneller vorbei. Ich hörte, wie vor mir der Vater des kleinen Jungen diesem einen Riegel Schokolade anbot.
Typisch Vater. Merkt es nicht, wenn er mal eine Erziehungspause machen kann. Warum lenkt er den Jungen ab, wenn der sich gerade so prima mit meinem Nachbarn unterhält?
    Ich versuchte, mich zu entspannen, meinen Kopf leer zu bekommen. Er wurde nicht leer.
»Wenn Sie die Frage richtig beantworten, können Sie vielleicht Ihre Ehe
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