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Die Regenbogentruppe (German Edition)

Die Regenbogentruppe (German Edition)

Titel: Die Regenbogentruppe (German Edition)
Autoren: Andrea Hirata
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Vorlesungen zu finanzieren.
    Die traurige Erfahrung mit Lintang hatte mich nachhaltig geprägt. Deshalb arbeitete ich manchmal extra hart für Eryn, wie zum Ausgleich dafür, dass ich nicht in der Lage gewesen war, Lintang zu unterstützen. So traurig mein Leben auch war, Eryn gab mir das Gefühl, dass es einen Sinn hatte. In meinem Leben gab es zur damaligen Zeit nichts, worauf ich hätte stolz sein können, aber ich wollte es wenigstens in den Dienst einer guten und wichtigen Sache stellen. Und das war Eryns Studium.
    Sie war gerade in einer verzweifelten Lage. Eine Weile hatte sie vergeblich nach einem geeigneten Thema für ihre Examensarbeit gesucht. Die Exposés, die sie eingereicht hatte, waren alle zurückgewiesen worden, denn von ihr, als besonders begabter und bereits ausgezeichneter Studentin, erwartete man auch eine besondere wissenschaftliche Leistung. Ihr Tutor forderte sie auf, über ein Thema zu arbeiten, bei dem es ihr gelingen konnte, die Forschung um neue Erkenntnisse zu bereichern.
    Tatsächlich hatte sie inzwischen ein geeignetes Thema gefunden. Ausführlich erzählte sie mir von ihrem Vorhaben, über das Phänomen extremer zwischenmenschlicher Abhängigkeit zu forschen, bei dem eine Person derart auf eine andere bezogen ist, dass sie ohne diese nicht handlungsfähig ist. Als Eryn dieses Thema vorschlug, stimmte der Tutor endlich zu.
    Da dieses Phänomen in seiner pathologischen Form außerordentlich selten vorkam, hatte Eryn große Schwierigkeiten, einen konkreten Fall für ihre Studien zu finden. Es gab zwar ein paar leichte Fälle, aber sie waren alle nicht so signifikant, bedurften auch keiner speziellen Behandlung, sodass sich eine tiefergehende Analyse nicht lohnte. Eryn hatte schon mit den verschiedensten Psychologen, Psychiatern, Universitätsdozenten und Institutionen, die psychisch Kranke behandelten, und mit Ärzten an Heilanstalten überall im Land korrespondiert. Darüber waren bereits vier Monate hingegangen, ohne dass etwas herausgekommen war. Sie war total frustriert.
    Aber dann kam der Tag, an dem das Schicksal Eryn wohlgesonnen war. Sie erhielt einen Brief vom Direktor eines Krankenhauses für geistig Behinderte in Sungai Liat, Bangka, der ihr mitteilte, dass sie dort einen Fall der seltenen Krankheit hätten, die Eryn suchte.
    Bangka ist die Nachbarinsel von Belitung, beide Inseln liegen in derselben Provinz. Als sie mich daher fragte, ob ich sie begleiten würde, zögerte ich nicht lange und bat um einen kurzen Urlaub. Nach Beendigung ihrer Recherche wollten wir dann noch zusammen mein Heimatdorf auf Belitung besuchen.
    *
    Die Heilanstalt von Sungai Liat stammt noch aus der Kolonialzeit. Die Leute auf Belitung nennen sie Zaal Batu , das Steinhaus, weil die Wände in den Krankenzimmern aus Stein sind. Da es auf Belitung kein Krankenhaus für geistig Behinderte gab – und auch heute noch nicht gibt –, wurden Kranke mit schlimmeren Symptomen meistens übers Meer nach Sungai Liat geschickt. Der Name Zaal Batu steht für die Bewohner von Belitung deshalb für etwas Dunkles, für Qual und Verzweiflung.
    Als wir ankamen, erschollen von überall her die Rufe der Muezzins zum Abendgebet. Wir betraten das alte Gebäude, das ganz in Weiß gehalten war, über ein hohes Eingangsportal mit vielen Säulen. Wir kamen an Eisentüren mit großen Schlössern vorbei, am Medikamentenzimmer, das voller Flaschen und Fläschchen stand, überall Karbolgeruch, fahrbare Tische, Pfleger und Pflegerinnen in weißer Kleidung und Patienten, die entweder mit sich selbst sprachen oder einen merkwürdigen Blick hatten.
    Ein Pfleger kam auf uns zu. Wir wurden schon erwartet. Er öffnete uns die Tür und wir betraten einen langgestreckten Raum, in dem sich mehrere Patienten aufhielten. Ich betrachtete die Gesichter der Patienten hinter den Stäben der eisernen Gitter. Langsam verwandelten sich die Gitterstäbe in menschliche Beine. Zwischen den Beinen erschien mir das bekannte Gesicht mit den Pockennarben. Die bedrückende Atmosphäre des Krankenhauses hatte meine Erinnerung an Bodenga wiedererweckt, die sonst tief in mir verborgen ruhte.
    Der Pfleger brachte uns zum Büro von Professor Yan, dem Direktor der Anstalt, der Eryn kürzlich den Brief geschrieben hatte. Der Professor strahlte Ruhe und Reinheit aus. Durch die Finger seiner Hand glitten die Glieder einer Gebetskette.
    »Es handelt sich um einen extremen Fall von Mutterkomplex«, erklärte er in ernstem, mitfühlendem Ton. »Der junge Mann kann sich
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