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Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Titel: Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
Autoren: Tyler Hamilton
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der US -Nationalmannschaft
und in der weiteren Auswahl für den olympischen Kader. Das Ganze war völlig
verrückt und unglaublich, aber ich hatte das Gefühl, hier meine Bestimmung
gefunden zu haben.
    Im Frühjahr 1994 war das Leben noch herrlich
unkompliziert. Ich war dreiundzwanzig Jahre alt, wohnte in einem kleinen
Apartment in Boulder und ernährte mich von asiatischen Ramen-Nudeln und fertig
gekauftem Pizzaboden mit Erdnussbutter drauf. Vom Nationalteam erhielt ich nur
ein kleines Gehalt, und um über die Runden zu kommen, gründete ich ein
Unternehmen namens Flatiron Hauling, dessen Vermögenswerte aus mir selbst und
einem 1973er Ford Pick-up bestanden. Ich setzte eine Annonce in die Boulder Daily Camera mit dem Slogan, der auch mein
sportliches Motto hätte sein können: »Keine Arbeit zu niedrig und keine zu
schwer.« Ich transportierte Baumstümpfe, Altmetall und einmal sogar tonnenweise
Hundekot aus einem Garten ab. Trotzdem war ich froh, dort zu sein, wo ich war:
Ich stand am Fuß der riesigen Radsportleiter, blickte nach oben und fragte
mich, wie hoch ich wohl klettern könnte.
    Zu der Zeit traf ich Lance. Es war im Mai 1994, an einem verregneten
Nachmittag in Wilmington, Delaware, und ich war für ein großes Radrennen, die
sogenannte Tour DuPont, gemeldet: 12   Tage, 1600   Kilometer, 112 Fahrer, darunter
fünf der neun besten Teams der Welt. Lance und ich waren ungefähr im selben
Alter, aber wir hatten unterschiedliche Ziele. Lance wollte gewinnen. Und ich
wollte sehen, ob ich mithalten konnte und ob ich zu den großen Jungs gehörte.
    Lance war bereits groß im Geschäft. Im vergangenen Herbst hatte er
die Einer-Straßen- WM in Oslo gewonnen. Ich hatte
die Radsportzeitschrift VeloNews mit seinem Foto
aufgehoben und kannte seine Geschichte auswendig: Der vaterlose Texaner, dessen
Mutter bei seiner Geburt fast selbst noch ein Kind war, der
Triathlon-Wunderknabe, der zum Radrennen gewechselt hatte. In sämtlichen
Artikeln wurde er stets als »dreist« und »ungestüm« beschrieben. Ich hatte
erlebt, wie Armstrong an der Ziellinie in Oslo ausgelassen gefeiert hatte: Er
warf Kusshändchen, streckte die Fäuste in die Luft und setzte sich vor der
Menge in Szene. Manche – okay, fast alle – waren der Ansicht, Lance sei
eingebildet. Aber mir gefielen seine Energie und seine direkte Art. Auf die
Frage, ob er der zweite Greg LeMond sei, erwiderte Armstrong: »Nö, ich bin der
erste Lance Armstrong.«
    Jede Menge Geschichten über Lance machten die Runde. Eine handelte
davon, wie der Weltmeister Moreno Argentin Armstrong aus Versehen mit dem
falschen Namen anredete, weil er ihn mit dessen Teamkameraden Andy Bishop
verwechselte. Armstrong platzte fast vor Wut. »Fick dich, Chiappucci!«, schrie
er und nannte nun seinerseits Argentin beim Namen von dessen Teamkollegen. Eine
andere Geschichte ereignete sich bei der Tour DuPont des Vorjahres. Ein
spanischer Fahrer versuchte, den Amerikaner Scott Mercier von der Straße zu
drängen, und Armstrong kam seinem Landsmann zu Hilfe. Er schloss zu dem Spanier
auf und sagte, er solle verschwinden – und der Spanier gehorchte. Im Grunde war
es immer dieselbe Geschichte: Lance war eben Lance, der eigenwillige amerikanische
Cowboy, der die Festung des europäischen Radsports eroberte. Ich liebte diese
Geschichten, denn ich träumte davon, selbst einmal diese Festung einzunehmen.
    Am Tag vor dem Rennen lief ich herum und starrte in Gesichter, die
ich nur aus Radsport-Magazinen kannte. Da war der russische
Goldmedaillengewinner Wjatscheslaw Jekimow mit seiner Rockstarfrisur und dem
finsteren Blick; der mexikanische Kletterer Raúl Alcalá, der schweigsame
Killer, der das Rennen im vergangenen Jahr gewonnen hatte; George Hincapie, ein
schmächtiger, verschlafener New Yorker, der als der nächste bedeutende
amerikanische Radrennfahrer gehandelt wurde. Und da war sogar der dreimalige
Tour-de-France-Gewinner Greg LeMond, im letzten Jahr vor seinem Rücktritt, der
immer noch munter und jugendlich wirkte.
    Man kann die Fitness eines Fahrers an der Form seines Hinterns und
den Venen an seinen Beinen erkennen, und diese Hinterteile waren bionisch,
schmaler und kräftiger, als ich sie je gesehen hatte. Ihre Beinvenen sahen aus
wie Straßenkarten. Ihre Arme waren Zahnstocher. Sie konnten sich auf ihren
Rädern in vollem Tempo und mit nur einer Hand am Lenker durch den dichtesten
Pulk von Fahrern schlängeln. Sie zu beobachten war inspirierend; sie waren wie
Rennpferde.
    Wenn ich
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