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Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Titel: Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
Autoren: Tyler Hamilton
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verrücktes Arschloch.« Dann sahen wir nach
den restlichen Fahrern in der Annahme, dass sie meine Zeit um ein Vielfaches
unterbieten würden. Aber ein Fahrer nach dem anderen überquerte die Ziellinie,
und meine Zeit blieb unangefochten.
    Jekimow – drei Sekunden hinter mir.
    Hincapie – drei Sekunden hinter mir.
    LeMond – eine Sekunde vor mir.
    Armstrong – elf Sekunden hinter mir.
    Als der letzte Fahrer ins Ziel kam, lag ich auf dem sechsten Platz.
    Am nächsten Tag startete das Peloton von Wilmington aus zur ersten
Etappe, und ich fragte mich, ob einige der Profis wohl mit mir sprechen würden;
vielleicht riefen sie Hallo oder schenkten mir ein freundliches Wort. Aber
keiner sagte etwas – weder Alcalá noch Jekimow noch LeMond. Ich war
enttäuscht, aber auch erleichtert. Es machte mir nichts aus, unbekannt zu sein.
Ich erinnerte mich daran, dass ich lediglich ein Amateur war, ein Arbeitspferd,
ein Niemand.
    Nach ungefähr sechzehn Kilometern gab mir jemand einen freundlichen
Klaps auf den Rücken. Ich drehte mich um und blickte geradewegs in Lance’
Gesicht. Er sah mir direkt in die Augen.
    »Hey, Tyler, gutes Rennen gestern.«
    Ich war keineswegs der Erste, dem auffiel, dass Lance eine
unwiderstehliche Art hat zu sprechen. Bevor er etwas sagt, hält er immer zuerst
einen Augenblick inne. Er sieht einen einfach nur an, taxiert einen und gibt
einem dabei Gelegenheit, ihn zu taxieren.
    »Danke«, erwiderte ich.
    Lance nickte. Da war irgendetwas zwischen uns – war es Respekt?
Anerkennung? Was es auch war, es fühlte sich ziemlich cool an. Zum ersten Mal
hatte ich das Gefühl, dazuzugehören.
    Wir fuhren weiter. Als Neuling in einem Profi-Peloton kommt man sich
ein bisschen so vor wie ein Fahrschüler auf einer Schnellstraße in Los Angeles:
Man muss schnell sein, sonst … Auf halber Strecke vermasselte ich es. Ich
fuhr etwas zur Seite und kam dabei versehentlich einem großen europäischen
Burschen in die Quere. Fast hätte ich sein Vorderrad gestreift, und er war
stinksauer. Er war nicht einfach nur wütend, sondern fuchtelte obendrein
theatralisch mit den Armen und schrie mich in einer Sprache an, die ich nicht
verstand. Ich drehte mich um, um mich zu entschuldigen, geriet dabei aber nur
noch mehr ins Schlingern. Jetzt schrie der Europäer noch lauter, sodass die
anderen Fahrer uns anstarrten, und ich wäre vor Verlegenheit am liebsten im
Boden versunken. Der Typ aus Europa fuhr neben mir her, damit er mir direkt ins
Gesicht brüllen konnte.
    Plötzlich schob sich jemand zwischen den wütenden Europäer und mich.
Es war Lance. Er legte dem Burschen die Hand auf die Schulter und versetzte ihm
einen sanften, aber entschiedenen Stoß, der eine klare Botschaft beinhaltete – Verschwinde! –, und dabei starrte er ihn unverwandt an,
sodass der Europäer sich nicht traute, irgendetwas dagegenzusetzen. Ich war
Lance so dankbar, dass ich ihn am liebsten umarmt hätte.
    An den folgenden Tagen fiel ich mit den anderen Arbeitspferden in
der Wertung zurück. Lance dagegen wurde stärker. Am Ende der fünften Etappe im
Zeitfahren entging er knapp einem Desaster. Wegen eines Fehlers bei der
Verkehrsüberwachung wäre er fast mit einem Kipplaster kollidiert, der auf der
Rennstrecke fuhr. Zum Glück sah Lance den Laster kommen und schaffte es, durch
eine schmale Lücke zu schlüpfen, mit nur wenigen Zentimetern Zwischenraum auf
beiden Seiten. An diesem Tag wurde er hinter Jekimow Zweiter. Anschließend
wollten die Presseleute mit ihm über den Beinahe-Zusammenstoß sprechen – immerhin wäre er fast gestorben! Aber Lance redete stattdessen davon, dass er das
Rennen eigentlich hätte gewinnen müssen. Das war typisch Lance: Gerade mal dem
Tod entronnen und schon wieder sauer, weil er nicht gewonnen hatte.
    Alles in allem war ich von dem Texaner ziemlich beeindruckt. Aber
was mir wirklich imponierte, geschah im Juli desselben Jahres. Damals sah ich
mir Lance aus sicherer Entfernung auf einem Fernsehschirm bei der Tour de
France an – dem härtesten Rennen der Welt, bei dem in drei Wochen rund 4000
Kilometer zurückgelegt werden. In den ersten Tagen war Lance ziemlich gut. Doch
auf der neunten Etappe, einem 64-Kilometer-Zeitfahren, schlug die Stunde der
Wahrheit: Jeder Fahrer wurde im Minutenabstand auf die Strecke geschickt und
fuhr allein gegen die Uhr. Ich sah fassungslos zu, wie Lance von Tour-Sieger
Miguel Indurain überholt wurde. Allerdings wird das Wort »überholen« dem Tempo
nicht gerecht, mit dem der
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