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Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Titel: Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
Autoren: Tyler Hamilton
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Bruder Geoff und meiner Schwester
Jennifer. Im Umkreis von zwei Häuserblocks wohnten über zwanzig Kinder, fast
alle im gleichen Alter. Damals machte man um Kindererziehung noch nicht so ein
Gewese, und so tobten wir den ganzen Tag draußen herum und kamen nur zum Essen
und Schlafen nach Hause. Es war keine Kindheit im eigentlichen Sinn, sondern
vielmehr eine nie endende Aneinanderreihung von Wettkämpfen: Straßenhockey,
Segeln und Schwimmen im Sommer; Schlittenfahren, Eislaufen und Skifahren im
Winter. Wir stellten natürlich auch eine Menge Unfug an: Wir schlichen uns an
Bord der Jachten reicher Leute und funktionierten diese zum Klubhaus um, wir
fuhren mit den damals üblichen Plastikdreirädern im Slalom die Steilhänge von
Dunn’s Lane hinab, und wir erfanden eine neue Sportart namens Walter Payton
Hedge Jumping. Dabei suchte man sich das schönste Haus mit der höchsten Hecke
aus und sprang über diese hinweg wie Walter Payton über die Verteidigungslinie.
Wenn die Besitzer herauskamen, rannten wir wie der geölte Blitz davon.
    Meine Eltern verlangten nicht viel von uns, außer dass wir unter
allen Umständen die Wahrheit sagten. Mein Dad sagte einmal zu mir, wenn wir ein
Familienwappen hätten, stünde nur ein einziges Wort darauf: Ehrlichkeit. In
diesem Sinne führte Dad sein Geschäft, und so funktionierte auch unsere
Familie. Selbst wenn wir Schwierigkeiten hatten – und vor allem dann –, waren
meine Eltern nicht wütend, solange wir uns der Sache stellten.
    Das ist einer der Gründe, weshalb unsere Familie jedes Jahr im
Sommer an einem ganz bestimmten Tag traditionell das Mountain Goat Invitational
Crazy Croquet Tournament (ein verrücktes Krocket-Turnier) in unserem Garten
veranstaltete. Bei diesem Turnier galt nur eine einzige Regel: Schummeln war
ausdrücklich erlaubt. Man durfte alles machen, außer den Ball des Gegners
aufheben und in den Atlantik werfen (was, wenn ich mich recht erinnere, wohl
doch ein paar Mal passierte). Es war ein Riesenspaß – der Sieger wurde
regelmäßig wegen Schummelns disqualifiziert, und unsere Freunde liebten es,
dabei zuzusehen, wie die so aufrichtigen Hamiltons mogelten, was das Zeug
hielt.
    Als Kind war ich rauflustig und wollte immer mit den größeren Jungs
mithalten. Mit zehn war die Liste meiner Verletzungen bereits ziemlich lang:
genähte Platzwunden, Knochenbrüche, Blinddarmdurchbruch, Verstauchungen usw.
(die Schwestern in der Notaufnahme schlugen meinen Eltern spaßeshalber vor,
sich doch eine Stempelkarte zu besorgen – nach zehn Arztbesuchen wäre der elfte
umsonst). Meine Blessuren holte ich mir bei den üblichen Unfällen: Ich stürzte
von Zäunen, sprang von Etagenbetten und wurde von einem Chevy angefahren, als
ich mit dem Fahrrad auf dem Schulweg war. Doch jedesmal, wenn ich mir neue
Schrammen eingefangen hatte, war meine Mutter zur Stelle, um die Wunden mit
einem warmen Waschlappen abzutupfen, mich zu verbinden, mir einen Kuss zu geben
und mich anschließend wieder zur Tür hinauszuschieben.
    Dad und ich standen uns nahe, aber zwischen Mom und mir bestand eine
besondere Bindung. Auf ihre Weise war sie eine großartige Sportlerin, und als
ich klein war, wollte ich so werden wie sie. Jeden Morgen machte sie in unserem
Wohnzimmer schon ganz früh ihre Übungen – fünfzehn Minuten Freiübungen nach
Jack LaLanne. Sobald ich aufwachte, schlich ich die Treppe hinunter und
gesellte mich zu ihr. Wir waren schon ein lustiges Paar: Ein Vierjähriger
machte mit seiner Mutter Liegestützen und Hampelmann-Sprünge. Und eins-zwei-drei-vier, eins-zwei-drei-vier …
    Aber das war nicht das Einzige, was Mom und mich verband. Denn so
lange ich zurückdenken kann, hatte ich dieses Problem. Es lässt sich am ehesten
so beschreiben: In der hintersten Ecke meines Verstands herrscht Dunkelheit,
eine quälende Schwermut, die unversehens kommt und geht. Sie ist wie eine dunkle
Welle, die sämtliche Energie aus mir herauspresst und mich niederdrückt, bis
ich das Gefühl habe, als befände ich mich in tausend Meter Tiefe auf dem Grund
eines kalten, dunklen Ozeans. Als Kind dachte ich, das wäre normal; ich
glaubte, im Leben jedes Menschen gäbe es Zeiten, in denen er kaum die Energie
aufbrachte zu sprechen und tagelang schwieg. Als ich älter wurde, entdeckte
ich, dass diese Dunkelheit einen Namen hat: klinische Depression. Sie ist
genetisch bedingt, quasi unser Familienfluch: Meine Großmutter
mütterlicherseits beging Selbstmord; und meine Mutter leidet ebenfalls
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