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Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)

Titel: Die Radsport-Mafia und ihre schmutzigen Geschäfte (German Edition)
Autoren: Tyler Hamilton
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Sturz
zusammengekrümmt auf der Straße lag, ein anderer den Mannschaftsarzt, der
herbeigerannt kam und bestürzt ausrief: »O mein Gott, Tyler, dein Bein ist ja
ab! Bist du okay?« Und der Kollege, der Hamilton spielte, erwiderte mit einem
beschwichtigenden Lächeln: »Keine Sorge, mir geht es gut. Aber wie geht es Ihnen heute?«
    Ich hatte 2004 in Girona einige Zeit mit Hamilton verbracht, und es
war eine unvergessliche Erfahrung gewesen. Meist verhielt er sich, wie es
seinem Ruf entsprach: bescheiden, nett, höflich, durch und durch ein
Pfadfinder. Er hielt mir die Tür auf, bedankte sich dreimal dafür, dass ich den
Kaffee bezahlte; und er war auf charmante Art erfolglos, wenn es darum ging,
seinen übermütigen Golden Retriever Tugboat zu bändigen. Wenn wir über das
Leben in Girona, über seine Kindheit in Marblehead oder über seine geliebten
Red Sox sprachen, war er heiter, aufmerksam und engagiert.
    Aber wenn wir uns über den Radsport oder die bevorstehende Tour de
France unterhielten, veränderte sich Hamiltons Persönlichkeit. Sein
ausgelassener Humor verflüchtigte sich; sein Blick war stur auf seine
Kaffeetasse gerichtet, und er benutzte die offenkundigsten, höflichsten und
langweiligsten Sportklischees, die ich je gehört hatte. Er bereite sich auf die
Tour vor, indem er »sich strikt auf den nächsten Tag, das nächste Rennen
konzentriere« und »seine Hausaufgaben« mache, erklärte er mir; Armstrong sei
»ein großartiger Typ, ein zäher Wettkämpfer und ein guter Freund«; es sei »eine
große Ehre, bei der Tour de France dabei sein zu dürfen«, etc. etc. Es war, als
litte er an einer seltenen Störung, die eine unkontrollierbare geistige
Trägheit hervorrief, sobald vom Radsport die Rede war.
    Bei unserem letzten Gespräch (ein paar Wochen bevor er beim
Blutdoping erwischt wurde) hatte Hamilton mich überraschend gefragt, ob ich
vielleicht Interesse hätte, mit ihm zusammen ein Buch über sein Leben als
Radprofi zu schreiben. Ich sagte, dass ich mich geschmeichelt fühlte und dass
wir uns irgendwann eingehender darüber unterhalten sollten. Ehrlich gesagt,
wollte ich ihn nur hinhalten. Am Abend sprach ich mit meiner Frau darüber. Ich
mochte Hamilton und bewunderte seine Leistungen als Fahrer, aber als Thema für
ein Buch war er völlig ungeeignet: Er war einfach zu langweilig.
    Ein paar Wochen später musste ich dann feststellen, dass ich mich
geirrt hatte. Wie in den folgenden Monaten und Jahren bekannt wurde, hatte der
nette Junge ein Doppelleben wie in einem Spionageroman geführt: Die Rede war
von Decknamen, geheimen Telefonaten, mehreren zehntausend Dollar, bar bezahlt
an einen berüchtigten spanischen Arzt, und einem Gefrierschrank namens
»Sibirien« zur Aufbewahrung von Blut, das bei der Tour de France gebraucht wurde.
Später fand die spanische Polizei heraus, dass Hamilton bei Weitem nicht der
Einzige war: Einige Dutzend andere Spitzenfahrer waren an ähnlich
ausgeklügelten Geheimprogrammen beteiligt. Trotz aller Beweise beteuerte
Hamilton seine Unschuld. Seine Anträge wurden von der Anti-Doping-Behörde
abgewiesen; Hamilton wurde für zwei Jahre gesperrt und verschwand prompt von
der Bildfläche.
    Nun, da die Untersuchung gegen Armstrong in die Gänge kam, stellte
ich einige Nachforschungen an. Aus Zeitungsartikeln erfuhr ich, dass Hamilton
mittlerweile fast vierzig war, geschieden und in Boulder, Colorado, einen
kleinen Trainings- und Fitnessclub betrieb. Nach seiner Sperre hatte er ein
kurzes Comeback versucht, welches abrupt endete, als er positiv auf ein nicht
leistungssteigerndes Mittel getestet wurde, das er wegen seiner klinischen
Depression eingenommen hatte, an der er seit seiner Kindheit litt. Er wollte
keine Interviews geben. Ein ehemaliger Teamkamerad bezeichnete Hamilton als
»the Enigma«.
    Da ich noch seine E-Mail-Adresse hatte, schrieb ich ihm:
    Hallo Tyler,
ich hoffe, es geht Dir gut.
Vor langer Zeit hast Du mich gefragt, ob wir nicht
gemeinsam ein Buch schreiben sollten.
Falls Dich der Gedanke immer noch reizt, würde ich gern
mit Dir darüber sprechen.
Alles Gute
Dan
    Ein paar Wochen später flog ich nach Denver, um mich mit
Hamilton zu treffen. Als ich aus dem Terminal trat, sah ich ihn hinter dem
Steuer eines silbernen SUV sitzen. Hamiltons jungenhafte Gesichtszüge waren
etwas härter geworden; seine Haare waren länger und grau meliert; und in den
Augenwinkeln hatte er tiefe Fältchen. Als wir losfuhren, öffnete er eine Dose
Kautabak.
    »Ich habe versucht,
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