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Die Rache des Samurai

Die Rache des Samurai

Titel: Die Rache des Samurai
Autoren: Laura Joh Rowland
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einzuhandeln.«
    Sano war völlig verwirrt. »Ja, ich verstehe«, sagte er, aber nur, weil Noguchi zu ihm aufschaute, ihm ins Gesicht blickte und ihm die Hand auf die Schulter legte, während sie weiter schritten; diese Geste Noguchis war eine unausgesprochene Bitte um Verständnis.
    Der Archivar bewegte den Kopf auf und ab, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Und wie Ihr natürlich wißt, ist Seine Hoheit ein vielbeschäftigter Mann. Da kann es gar nicht ausbleiben, daß er hin und wieder Dinge von untergeordneter Bedeutung schlichtweg vergißt. Aber das ist mitunter gar nicht so schlecht.« Sein ernster Blick ruhte fest auf Sanos Gesicht, als sie an das Tor gelangten, das zum Palastgelände führte.
    Plötzlich erkannte Sano, was sein Vorgesetzter gemeint hatte. Viele Beamte, darunter auch Noguchi, hatten dermaßen große Angst davor, in Ungnade zu fallen oder in Schwierigkeiten zu geraten, daß sie vor nichts zurückschreckten, um alles von sich abzuwälzen – sei es gut oder schlecht –, das die Aufmerksamkeit des Shōgun erregen könnte. Sie würden ihren Untergebenen niemals offen die Anweisung geben, Befehle nicht zu beachten. Doch Noguchi, dem offenbar zu Ohren gekommen war, daß der Shōgun Sano zu sich bestellt hatte – wenngleich auch er den Grund dafür nicht kannte –, wollte Sano zu verstehen geben, er solle alle verfügbaren Mittel einsetzen, einen möglichen Auftrag des Shōgun abzulehnen. Und falls das nicht gelang, sollte Sano abwarten, bevor er handelte – in der Hoffnung, daß Tokugawa Tsunayoshi die ganze Angelegenheit vergaß. Jetzt verstand Sano Noguchis Haltung, hatte aber kein Verständnis dafür.
    Er wartete, bis sie den Kontrollpunkt hinter sich gelassen und den Palastgarten betreten hatten. Dann sagte er: »Ich weiß Eure Besorgnis zu schätzen, Noguchi- san , aber was unser Herr auch befiehlt – ich muß ihm gehorchen, ohne Ausflüchte und ohne Zaudern.«
    Angesichts der Unverblümtheit Sanos holte Noguchi scharf Luft. »Große Güte! Ich wollte nie und nimmer andeuten, daß Ihr einem Befehl Seiner Hoheit nicht nachkommen sollt!« stieß er heftig hervor. Dann schlug er sich die Hand vor den Mund und schaute sich um, ob jemand zugehört hatte.
    Der Palastgarten erstrahlte in voller Frühlingspracht. Wächter patrouillierten über weiße Kieswege, die sich über einen frischen grünen Rasen schlängelten, auf dem blühende Kirsch- und Magnolienbäume standen. Gärtner fegten die Gehwege und kümmerten sich um die Azaleensträucher, deren rote Blüten leuchteten. Beamte und ihre Diener schlenderten durch den Garten; ihre strahlende Kleidung machte die Szenerie noch farbenprächtiger. Weitere Beamte hielten sich vor dem Palastgebäude selbst auf, einem niedrigen, riesigen Bauwerk mit weiß verputzten Mauern, Türen, Gebälk und Fenstergittern aus dunklem Holz sowie einem vielgiebeligen Dach, das mit schimmernden grauen Ziegeln gedeckt war. Sano wußte, warum Noguchi Angst vor Lauschern hatte: Schon der kleinste Hinweis auf Ungehorsam oder Treulosigkeit konnte als Verrat ausgelegt und mit Verbannung oder Tod bestraft werden. In Edo wimmelte es von Spitzeln und Zuträgern; viele von ihnen hielten sich im Palast selbst auf. Jeder der Beamten oder Diener, die Sano erblickte, konnte ein metsuke sein – einer der Spione des Shōgun – oder einer der vielen Hofschranzen, die sich einen Vorteil davon erhofften, wenn sie Kollegen anschwärzten.
    »Ich habe Euch bloß die Früchte meiner Erfahrung dargeboten«, sagte der Archivar im Flüsterton.
    Sano schüttelte kaum merklich den Kopf. Er würde Noguchis Rat nicht befolgen. Dem Archivar ging es allein darum, die Jahre, die ihm noch blieben, in Ruhe und Frieden zu verbringen. Doch Noguchi meinte es gut; deshalb sagte Sano: »Ja, ich weiß. Habt Dank für Euren Rat, Noguchi -san . Ich werde ihn mir merken.«
    Sie gelangten zum Eingang des Palasts. Nachdem sie sich verabschiedet hatten, schüttelte Noguchi den Kopf und sagte beim Fortgehen: »Ihr jungen Leute seid unbesonnen und ungestüm. Ich hoffe, daß Ihr Euer Tun nicht irgendwann bereuen müßt, Sano- san .« Dann fügte er fröhlicher hinzu: »Nun denn – gambatte kudasai! « Tu dein Bestes, und viel Glück!
    Von den Wachen, die an der gewaltigen, mit Schnitzereien verzierten Eingangstür des Palasts standen, wurde Sano durchgelassen. Als er die Sandalen auszog und seine Schwerter an eine Wand in der riesigen Eingangshalle hängte, dachte er an Noguchis Warnung und verspürte einen
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